Aktueller Fall Dezember 2013
Hohe Verluste in der Ferkelaufzucht trotz Medikation
Tierarzt Jens Jungbloot, Praxis für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung
im Erzeugerbetrieb Schwein Dr. Reinhold Heggemann, 25782 Tellingstedt
Der Betrieb
Diesen Monat stellen wir Ihnen einen Betrieb mit 450 Sauen vor, wobei die Produktion auf zwei Sauenstandorte und einen separaten Ferkelaufzuchtstall (Flatdeck) verteilt ist.
Zurzeit befindet sich der Betrieb in einer Genetikumstellung, was eine neue Sauenherkunft zur Folge hat.
Der Fall
Der Landwirt kontaktierte unsere Praxis, da die Ferkel im Flatdeck bereits längere Zeit auf Anweisung seines Tierarztes mit Amoxicillin oral behandelt wurden. Die Diagnose lautete: Streptokokkeninfektion der Ferkel. Weiterhin berichtete der Landwirt, dass die Medizinierung immer weiter zeitlich ausgedehnt werden musste und trotzdem die Verluste (ca. 14%) nicht wesentlich geringer wurden. Darüber hinaus war das Wachstum der Ferkel im Ganzen nicht zufriedenstellend. Ein Betriebsbesuch wurde noch für den Nachmittag vereinbart.
Die Untersuchung
Bei dem Betriebsbesuch waren in der aktuellen Abferkelgruppe keine Hinweise für eine Streptokokkeninfektion zu finden. Es fanden sich weder Nabelentzündungen noch Gelenkentzündungen. Die Zähne wurden nicht gekürzt und trotzdem waren sowohl bei den Sauen als auch bei den Ferkeln kaum Hautverletzungen zu sehen. Die Entwicklung der Ferkel entsprach ihrem Alter.
Die Säugezeit in diesem Betrieb beträgt 4 Wochen, so dass die Ferkel mit sehr guten Absetzgewichten in das Flatdeck umgestallt werden konnten.
In dem Ferkelstall konnten nach dem Bestandsdurchgang zwei aktuell erkrankte und ein totes Ferkel identifiziert werden. Davon wies ein Ferkel einen schaukelnden Gang auf, ein Ferkel war festliegend und ein Ferkel war verendet.
Festliegende Ferkel sind nicht immer an Streptokokken erkrankt. Auch das Teschovirus kann zu zentralnervösen Störungen führen, die nur durch weiterführende Untersuchungen geklärt werden können.
Die Medizinierung mit Amoxicillin erfolgt über ein Dosiergerät in die Trinkwasseranlage. Die Überprüfung der Dosierung ergab keine Fehler. Die Fütterung wird über Breiautomaten realisiert. Bei Einstallung erhalten die Ferkel eine Impfung gegen Mycoplasmen und Circovirus.
Im Bestand waren des weiteren vereinzelt Kümmerer und Nabelbrüche zu sehen, aber kaum Gelenkentzündungen und auch keine Ferkel mit Gehirnhautentzündungen oder schiefer Kopfhaltung.
Für die vorgefundene Klinik kommen neben der vermuteten Streptokokkeninfektion auch die durch E.Coli verursachte Oedemkrankheit und die Teschner Krankheit in Betracht. Um dieses abzuklären, wurden die zwei lebenden, erkrankten Ferkel zur Sektion verbracht und wie folgt befundet:.
Der Befund
Tier 1
Pathologie Mittelgradige Ödeme in Unterhaut, Magenwand, Dünndarmbereich
Darm gerötete Darmwand, teilweise aufgegast, Darmlymphknoten geschwollen
Leber und Milz akut gestaut
Mittelgradige Gelenkentzündung
Histologie Punktartig abgestorbenes Gewebe im Groß- und Kleinhirn
Mittelgradige eitrige Hirnhautentzündung
Bakteriologie Lunge kein Erreger nachgewiesen
Organe Staphylokokkenspezies und Aerococcuc viridans
Darm Proteusspezies und Escherichia coli schwach
Gehirn Aerococcus viridans
Gelenk Staphylokokkenspezies und Aerococcus viridans
Virologie Porcines Teschovirus
Tier 2
Pathologie Schwanznekrose
Unterhaut leichtes Ödem
Darm gerötete Darmwand, teilweise aufgegast, Darmlymphknoten geschwollen
Leber und Milz akut gestaut
Gelenke schwach vermehrte Flüssigkeit
Gehirn hochgradiger Blutstau
Histologie punktartig entzündete Bezirke im Groß- und Kleinhirn, nicht eitrig
punktartige Blutungen in der Hirnhaut, Gewebsverlust (Löcher) im Gehirn
Bakteriologie Lunge Staphylococcus aureus und Aerococcus viridans
Organe Aerococcus viridans und Staphylokokkenspezies
Darm zwei Stämme E.coli ohne Shigatoxinnachweis
Gelenke Staphylokokkenspezies und Aerococcus viridans
Virologie Porcines Teschovirus
Weiteres Vorgehen
Durch das erste Sektionsbild (Ödeme und Darmveränderungen) war zunächst die Verdachtsdiagnose Ödemkrankheit gestellt worden. Die daraufhin umgestellte Behandlung auf Colistin schien auch kurzzeitig eine deutliche Besserung zu bringen. Vier Tage später traten jedoch wieder erkrankte Tiere auf, wobei unklar war, ob ein Futterausfall am Vortag wegen Anlagenstörung dafür ursächlich verantwortlich war. Deshalb wurde die Behandlung vorerst fortgeführt, was aber im weiteren Verlauf dann zu keiner weiteren Besserung bzw. Stabilisierung führte.
Zwischenzeitlich waren die weiterführenden Untersuchungsschritte (Bakteriologie, Histologie und Virologie) im Labor abgeschlossen.
Durch den fehlenden Nachweis von Shiga-Toxin musste die anfängliche Verdachtsdiagnose „Ödemkrankheit“ fallen gelassen werden. Zudem lieferte das histologische Ergebnis mit den beschriebenen Veränderungen an den Gehirnen und letztendlich der direkte Erregernachweis von Teschovirus die endgültige Diagnose „Teschener Krankheit“.
Die bei einem Tier nachgewiesene eitrige Hirnhautentzündung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine sekundäre Infektion zurückzuführen. Ob der nachgewiesene Aerococcus viridans alleinige Ursache ist, ist unklar, da die Tiere mit Amoxicillin vorbehandelt waren. Aerococcus viridans ist hauptsächlich aus der Humanmedizin bekannt und ist hier bei Harnwegsinfektionen, aber auch bei Hirnhautentzündungen nachweisbar. Der hier nachgewiesene Aerococcus viridans ist im Resistenztest empfindlich auf Tetracycline und Amoxicillin getestet worden. Beide Wirkstoffe überwinden die Blut-Hirn-Schranke, so dass es sinnvoll ist, mit einem dieser Wirkstoffe die Behandlung fortzuführen.
Die Mycoplasmen/Circovirus - Impfung sollte nicht mehr im Flatdeck während eines akuten Krankheitsgeschehens durchgeführt werden. Deutlich besser ist die Verlagerung der Impfung in die Säugephase der Ferkel.
Diskussion
Bei der Teschener Krankheit handelt es sich um ein Virus, welches oral aufgenommen wird. Die Viren vermehren sich im Verdauungstrakt und werden somit mit Harn und Kot wieder ausgeschieden. Einige Stämme sind neurovirulent und führen zu Lähmungserscheinungen. Dabei sind Veränderungen am Hirnstamm, Kleinhirn und Rückenmark feststellbar.
Bei milden Verlaufsformen überwiegen motorische Ausfallerscheinungen unterschiedlichen Grades, wobei einige Tiere auch dauerhaft gelähmt bleiben können.
Bei am Hirn und Rückenmark erkrankten Tieren sind die Symptome dagegen wesentlich gravierender und sehr ähnlich wie bei einer Streptokokkenmeningitis oder der Ödemkrankheit zu sehen: gestreckter Kopf, Zittern der Tiere, Krämpfe, Lähmungen bis hin zum Festliegen. Diese Form endet oft tödlich.
Auf Grund einer stillen Durchseuchung der Schweinebestände mit schwach virulenten Stämmen tritt die Erkrankung in Mitteleuropa nur noch selten auf.
Treffen neurovirulente Stämme auf eine Immunitätslücke, kommt es unter Umständen zu deutlichen klinischen Symptomen.
Eine spezielle Therapie ist nicht möglich. Ziel muss die Herbeiführung einer möglichst geschlossenen Bestandsimmunität sein, die unter Umständen auch durch die Rückfütterung von Kontaktmaterial an die Sauen herbeizuführen ist.
Differentialdiagnostisch sollte bei Erkrankungen mit zentralnervösen oder neurologischen Ausfallerscheinungen auch die anzeigepflichtige Aujeszkysche Krankheit ausgeschlossen werden.