Aktueller Fall zum Jahreswechsel 2011/2012
Von der „Montagskrankheit“ zum Bestandsproblem?
Dr. Reinhold Heggemann, Praxis für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein, 25782 Tellingstedt
Der Bestand
Diesen Monat berichten wir von einer Erkrankung aus verschiedenen Betrieben, wobei die klinischen Symptome sehr ähnlich waren. Die Krankheitserscheinungen betrafen abgesetzte Ferkel und verliefen in aller Regel hochdramatisch; sowohl in Ferkelerzeugerbetrieben als auch in spezialisierten Ferkelaufzuchtställen.
Der Fall
In verschiedenen Betrieben traten in einem Zeitraum von 4 Monaten mehrere Fälle von massivster Kolienterotoxämie (KE), auch unter dem Namen „Ödemkrankheit“ bekannte Verlaufsform der E. Coli-Infektion bei Ferkeln auf. Typischerweise erkrankten abgesetzte Ferkel in der zweiten/dritten Absetzwoche. Sichtbare Anzeichen wie geschwollene Augenlider (Lidödeme), Ruderbewegungen in Seitenlage, Blauverfärbungen bei verendeten Ferkeln und heiseres Quiken sind unter anderem typische Anzeichen für dieses spezielle, aber klar erkennbare Krankheitsbild und konnte auf allen betroffenen Betrieben in unterschiedlicher Ausprägung beobachtet werden.
Die Untersuchung
Untersuchte, verendete Ferkel aus verschiedenen Betrieben zeigten ein einheitliches Sektionsbild in Form von Flüssigkeitseinlagerungen in das Unterhautgewebe, am Dünndarm und in den Hirnhäuten (Ödeme). Weiterführende Untersuchungen wiesen als auslösenden Erreger E.Coli des Serotyps O138 nach, wobei die weitere Differenzierung das sogenannte Shigatoxin (sprich: Schigatoxin) nachweisen konnte.
Weiteres Vorgehen
Bereits nach dem jeweils ersten Bestandsbesuch wurde aufgrund des teilweise doch recht dramatischen Krankheitsverlaufs und aufgrund der eindeutigen klinischen Symptome Colistin, bzw. ein Colistin-Verbundpräparat über das Wasser und Futter eingesetzt. Eine Injektionsbehandlung bereits erkrankter Ferkel bleibt in den allermeisten Fällen ohne Erfolg, da das verantwortliche Shigatoxin systemisch im ganzen Körper wirkt und nicht reparable Organschäden gesetzt hat. Im Extremfall kann eine Behandlung bereits erkrankter Tiere sogar kontraproduktiv sein, weil durch das verabreichte Antibiotikum massenhaft E. Coli Keime abgetötet und somit große Mengen Shigatoxin freigesetzt werden und so zu einem akuten Schock mit Kreislaufversagen und perakutem Verenden führen können.
Weiterer Verlauf
Durch die Medikation konnte zwar das akute Krankheitsgeschehen deutlich entschärft werden, eine für den weiteren Verlauf auch in den Folgegruppen ganz entscheidende Komponente ist allerdings das angebotene Tier/Fressplatzverhältnis!! Dieses sollte wenn irgend möglich in der kritischen Phase 1:1, max. 1:2 betragen. Im folgenden Text werden wir noch detailliert auf diesen Aspekt eingehen.
Diskussion
Die sogenannte durch Escherichia Coli (E.coli) verursachte Ödemkrankheit ist eine altbekannte Erkrankung der Ferkel, die früher vorzugsweise am Montag auftrat. Dieser Umstand war häufig der Tatsache geschuldet, dass am Wochenende entweder eine Vertretung (Oma, Opa, …) das Füttern übernommen hatte oder einfach eine Fütterung aufgrund des Wochenendes ausfiel und so in der verbliebenen Fütterung die Futtermenge entsprechend erhöht wurde. Der eherne Grundsatz beim Füttern der Ferkel „Einmal am Tag auf blanken Trog“ wurde dann außer acht gelassen – mit den entsprechenden Folgen am Montag.
Heute ist die Ödemkranheit oder Coli-Enterotaxämie bestens erforscht und die ablaufenden Mechanismen und beteiligten Keime sowie Toxine bekannt. Dabei handelt es sich nicht um neue Erreger, sondern vielmehr um alte Bekannte; lediglich die Bezeichnung ist durch neue, moderne Nachweisverfahren differenzierter geworden, sodass der Eindruck entstehen könnte, es würde sich um neue Keime handeln.
Bestens bekannt aus der Humanmedizin dürfte vielen noch die sogenannte EHEC Erkrankungswelle im Sommer 2011 sein, die durch kontaminierte Sprossen ausgelöst wurde. EHEC steht hier für Enterohämorrhagische Escherichia coli und steht frei übersetzt für durch E.coli verursachten blutigen Durchfall.
In der Tiermedizin wird heute zwischen STEC und ETEC unterschieden, was für Shigatoxin- bildende E. coli und enterotoxische E.coli steht. STEC lösen Ödemkrankheit aus, ETEC lösen dagegen Durchfall bei Saug- und Absatzferkeln aus. Je nachdem welche Toxinklassen gebildet werden, sind auch seltenere Mischformen bekannt, bei denen durch STEC zunächst Durchfall und später Ödemkrankheit ausgebildet wurde.
Wie aber ist die Tatsache zu erklären, dass die Ödemkrankeit eine Art Renaissance erlebt und häufig zum dauerhaften Bestandsproblem wird? Hierfür sind sicherlich verschiedene Ursachen verantwortlich. Mit dem Wachstum der Betriebe verbunden ist auch immer eine Veränderung der Haltungsformen, Gruppengrößen und Fütterungssysteme verbunden. Immer größer werdende Tiergruppen werden in aller Regel an zu wenig Fressplätzen mit zum Teil immer technischeren Fütterungssystemen konfrontiert, mit denen im Extremfall fortlaufend bis zu 20 Stunden täglich und mit bis zu 30 Mahlzeiten am Tag gefüttert wird oder aber über einen Automaten 24 Stunden täglich Futter ad libitum angeboten wird (angeboten werden muss). Dabei spielen dann auch noch immer besser- und hochverdauliche Futterkomponenten eine fatale Nebenrolle und so entsteht im Ergebnis eine unkontrollierte, zu hohe Futteraufnahme einzelner Tiere bzw. einzelner Tiergruppen (die 30 % am besten entwickelten Tiere!), die dann erkranken und verenden oder in der Folge kümmern.
Als effektivste, vorbeugende Maßnahme kann hier die Bedeutung einer restriktiven, dosierten Anfütterung nicht genug betont werden. Diese setzt aber bestimmte Grundsätze zwingend voraus: Fressplatzverhältnis in den ersten 2 Wochen des Anfütterns von 1:1 wären optimal,; ein Verhältnis von max. 1:2 sollte aber auf jeden Fall in Form von beweglichen Trögen zeitlich befristet realisiert werden. Eine Modellrechnung soll den Fressplatzbedarf verdeutlichen: Bei einer Absetzergruppe von z.B. 60 Ferkeln und einem Bedarf von ca. 10 cm Troglänge/Ferkel würden 6 laufende Meter bzw. bei einem Verhältnis von 1:2 immer noch 3 laufende Meter Trog benötigt.
Ein zeitlich befristeter 2. Trog kann das Problem Ödemkrankheit / Durchfall deutlich entschärfen.
Restriktive Fütterung darf dabei nicht heißen die Fressplätze zu begrenzen, in der irrigen Annahme, dass durch den Verdrängungswettbewerb am Automaten das einzelne Ferkel weniger Zeit zum Fressen hätte. Vielmehr setzen sich beim Kampf um das Futter immer die stärksten Ferkel durch, die dann größere Mengen fressen und in der Folge ja auch erkranken. Wenn dann wie in einem Ferkelaufzuchtbetrieb von 950 Ferkeln 280 verenden, ist das ökonomische und psychische Desaster perfekt.
Bei ad lib Fütterungssystemen wie z.B. der Sensorfütterung am Kurztrog mit einem Fressplatzverhätnis von häufig 1:8 fressen bei jeder neuen, frischen Futtergabe die stärksten Ferkel zuerst und zu viel. Das eventuell noch vorhandene, am Trogende zusammengeschobene alte Futter, wird weder von den schwachen noch von den stärkeren Ferkeln beachtet.
Ad libitum Fütterung oder ein zu weites Fressplatzverhältnis wird noch durch nicht optimale oder zu hoch verdauliche Ferkelfutter verschärft. Augenmerk ist daher unbedingt auch auf die Futterkomponenten zu legen. So haben wir mehrfach feststellen können, dass der rechnerische, deklarierte Rohproteinwert wesentlich niedriger war als der tatsächlich im Futter vorhandene. Dies bedeutet eine nicht adäquate Überversorgung mit Protein, die das Krankheitsgeschehen fördert und besonders in Jahren oder Regionen mit guter Weizen- bzw. Gerstenernte gehäuft vorkommt. Eine Untersuchung des Ferkelfutters mindestens auf Rohprotein, Rohfaser und auch Rohasche (Weender Analyse) sollte also bei anhaltenden Problemen unbedingt durchgeführt und die Futterkomponenten entsprechend angepasst werden.
Die häufig praktizierten Zusätze von Säuren- oder Säurengemischen im Ferkelfutter haben nach unserer Erfahrung im Hinblick auf das Auftreten von durch STEC ausgelöste Ödemkrankheit nur sehr begrenzten Nutzen.
Ebenso hat die prinzipiell mögliche Züchtung von Schweinen auf E.coli Resistenz bisher keine Praxisrelevanz entwickeln können.
In einem Betrieb ergab die von einer Fachfirma durchgeführte Reinigung und Desinfektion des Wasserleitungssystems guten Erfolg. Hier lag allerdings nachweislich eine Kontamination des Leitungssystems und ein hochgradiger Biofilm vor.
Ein neuer innovativer Ansatz könnte die Einführung eines Impfstoffes gegen STEC sein, der als Einmalimpfung an Ferkel ab dem 4. Lebenstag verabreicht, einen Schutz von mindestens 105 Tagen nach der Impfung bieten soll. Damit würden die beiden kritischen Zeiträume Absetzen und Einstallung in die Mast abgedeckt werden. Eine flächendeckende Einführung des Impfstoffes könnte eventuell 2012 erfolgen.