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Fall des Monats April 2010

Saugferkeldurchfall nach Bestandsaufstockung 
Jens Jungbloot, Praxis Dr. Heggemann für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein, 25782 Tellingstedt 

Der Bestand 
In dem aktuellen Fall handelt es sich um einen Ferkelerzeuger, der seinen Betrieb von 250 auf 700 Sauenplätze aufgestockt hat. Für diese Aufstockung hat er den ehemaligen Kombibetrieb (geschlossenes System) in einen reinen Sauenbetrieb umgewandelt. Der Betrieb führte in der Vergangenheit Eigenremontierung durch; nur für die Aufstockung wurden Jungsauen zugekauft, um dann wieder nach der Wachstumsphase zur Eigenremontierung zurückzukehren. 
Mit der Aufstockung wurde das Fütterungssytem für die Sauen von Trocken- auf Flüssigfütterung umgestellt. Die alten Einzelbuchten dienen jetzt nur noch für die Besamung. In der Trächtigkeit werden die Sauen im ehemaligen Maststall in Gruppen gehalten. 
Gesundheitlich gab es bis zur Aufstockung keine nennenswerten Probleme. Der Betrieb war sehr früh mit PRRS infiziert und somit wurden die Sauen seit vielen Jahren gegen PRRS geimpft. Seit längerem wurde auch eine Muttertierschutzimpfung vor der Abferkelung gegen E. coli mit einer handelsüblichen Vakzine durchgeführt. Dadurch waren kaum Saugferkeldurchfälle aufgetreten. 


Der Fall 
Sehr rasch nach der Aufstockungsphase waren Durchfälle am 3. Lebenstag der Saugferkel zu beobachten. Diese Durchfälle waren bei Würfen von Alt- und Jungsauen gleichermaßen (trotz weitergeführter Muttertierschutzimpfung gegen E. coli) zu verzeichnen. Die Qualität des Kotes war sehr unterschiedlich, von gelb pastös bis grün/braun wässrig. Insbesondere die Ferkel mit wässrigem Durchfall fielen rapide zusammen und zeigten eine stark erhöhte Verlustrate. 







Diagnostik und Behandlung 

Von frisch erkrankten Ferkeln wurden Kottupfer rektal entnommen und zur Bakteriologie geschickt. Als Erkrankungsursache wurden E. coli und Clostridium perfringens gefunden. Die Clostridien konnten nicht serotypisiert werden. Dennoch konnte aber als Virulenzfaktor das sogenannte beta2-Toxin nachgewiesen werden. Von beiden Erregern wurden Resistogramme angefertigt und die weitere Vorgehensweise entsprechend ausgerichtet. 
Zur Behandlung gegen E. coli erwiesen sich Apramycin, Colistin oder Enrofloxacin als wirksam. Gegen die Clostridien war Amoxicillin das Mittel der Wahl. Da das Wirkstoffmuster nicht deckungsgleich war, musste eine Kombinationsbehandlung durchgeführt werden. Die Sauen erhielten um den Abferkelzeitraum 5 Tage lang oral Amoxicillin. In bereitgestellter Elektrolytlösung für die Ferkel wurde ebenfalls Amoxicillin eingemischt. Weiterhin wurden alle Ferkel metaphylaktisch oral mit Enrofloxacin, beginnend am zweiten Lebenstag, für drei Tage behandelt. 


Weiterer Verlauf 
So lange die Behandlung konsequent durchgeführt wurde, trat kein Saugferkeldurchfall mehr auf, und die Ferkel entwickelten sich gut. Die Muttertierschutzimpfung mit der handelsüblichen E. coli-Vakzine wurde beibehalten. Es bestand die Hoffnung, dass sich nach Abschluss der Aufstockungsphase eine homogenere Bestandsimmunität aufbaut und so die massive Behandlung überfällig werden würde. Dies trat leider nicht ein. 


Weitere Vorgehensweise 
Um eine andere Lösung für das Problem zu finden, sollte die handelsübliche Vakzine durch einen bestandsspezifische Impfstoff ersetzt werden. Um eine bestandsspezifische Vakzine herstellen zu können, wurden von 20 Würfen Kottupfer rektal entnommen und zur bakteriologischen Untersuchung geschickt. Folgende Isolate wurden gefunden: 


- E. coli O45:K”E65” 
- E. coli O139:K82 + O138:K81 
- E. coli v. haem. O141:K85abc + O139:K82 
- E. coli O138:K81 
- E. coli O149:K91 
- E. coli nicht differenzierbar 
- Clostridium perfringens, Typ A 

Nach Weiterleitung dieser Isolate zu einem Impfstoffwerk, konnte aus diesem Material die Bestandsvakzine produziert werden. Die neue Vakzine wurde und wird heute noch nach folgendem Schema eingesetzt: 

Grundimmunisierung: 6 und 3 Wochen vor dem Abferkeltermin 

Wiederholungsimpfung: 3 Wochen vor dem Abferkeltermin 


Ergebnis 
Seit der Umstellung der Impfung von einer handelsüblichen zu einer bestandsspezifischen Vakzine konnte der massive metaphylaktische Antibiotikaeinsatz komplett eingestellt werden. Durchfälle traten nur noch selten auf und waren dann in der Regel auf lebensschwache Ferkel zurückzuführen. 
Die täglichen Zunahmen im Flatdeckbereich stiegen von 270 - 300 Gramm (bei den in der Abferkelung erkrankten Partien) auf 420 - 430 Gramm. Ein ähnlicher Unterschied zwischen diesen Partien war auch in der Mast zu verzeichnen. Hier betrug der Unterschied ca. 50 - 60 Gramm tägliche Zunahme. 


Diskussion 
Ein Bestandsneuaufbau oder eine massive Aufstockung ist immer eine kritische Phase (siehe auch Fall des Monats März/2010). Faktisch wurden in diesem Fall durch die Verdreifachung der Sauenzahl innerhalb kurzer Zeit im Grunde genommen zwei Herden mit unterschiedlichem Gesundheitsstatus geschaffen. Die vorhandene stabile Bestandsimmunität gerät dabei häufig aus dem Gleichgewicht. Deshalb ist in solchen Phasen eine intensive tierärztliche Betreuung- die optimalerweise bereits im Vorfeld beginnt- unbedingt geboten. 

Durch fehlende Bestandsimmunität treten in solchen betrieblichen Situationen eigentlich fast regelmäßig Durchfälle bei neugeborenen Ferkeln auf. Deshalb ist für diese Betriebe generell für Sauen zum ersten Wurf eine Muttertierschutzimpfung gegen E.coli zu empfehlen. 
In unserem Fall hat die zunächst nur gegen E.coli durchgeführte Impfung mit einer handelsüblichen Vakzine allerdings nur bedingten Erfolg gebracht. Dies kann zwei Gründe haben. Zum einen handelte es sich hier um eine Mischinfektion, bei der auch Clostridium perfringens Typ A beteiligt war. Gegen diesen Erreger gibt es keine handelsübliche Vakzine. Die Impfstoffe, die auf dem Markt vorhanden sind, basieren auf dem Typ C. 
Zum anderen sind handelsübliche Totimpfstoffe nur gegen bestimmte, pathogen wirkende Antigene (Zellwandantigene/ Toxinantigene/ Fimbrienantigene) ausgerichtet. Sind andere Antigene vorhanden oder Kombinationen, wirkt der Impfstoff möglicherweise nicht oder nur suboptimal. Moderne Impfstoffe decken zwar häufig schon ein größeres Spektrum ab, aber eben nicht lückenlos alle vorkommenden Antigene. 
In diesen Fällen ist die Herstellung eines sogenannten stallspezifischen Impfstoffes der geeignetere oder sogar der einzig mögliche Weg. 

Grundlage bzw. Ausgangsmaterial solcher stallspezifischen Impfstoffe sind die direkt aus dem Betrieb isolierten Erreger. Für den Erfolg einer stallspezifischen Vakzine ist es zwingend notwendig, im Vorfeld möglichst alle beteiligten Erreger zu isolieren. Dies setzt wiederum eine große Stichprobenzahl an geeignetem Probenmaterial voraus ( in diesem Fall 20 Tupfer)! Ein zu geringer Probenumfang ist der am häufigsten gemachte Fehler, der dann zu einem unbefriedigendem Ergebnis führt! 
In diesen Fällen hat man nicht nur Geld vergeudet, sondern durch die Vorlaufzeit der Impfstoffherstellung und der Impfung selbst, wertvolle Zeit verloren. 

Bei ausbleibendem Behandlungserfolg sollte man in jedem Fall auch differentialdiagnostisch auf Viren und Parasiten untersuchen. Neben den Bakterien E.coli und verschiedene Clostridienarten können auch Rota- und Coronaviren oder Strongyloiden (Würmer) frühe Saugferkeldurchfälle hervorrufen. 

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