Fall des Monats Februar 2002
Ungewöhnliches Symptom: geschwollene, rote Augen
In diesem Fall wurde tierärztlicher Rat bei folgendem Problem gesucht:
Bei einer Gruppe Jungsauen in einem ferkelerzeugenden Betrieb wurden bei Einzeltieren die unterschiedlichsten Symptome beobachtet: blutiger Kot, leichter Husten, Nasenausfluss und eitrige Bindehautentzündung mit deutlicher Schwellung rund um die Augen.
Das Allgemeinbefinden der Tiere erschien relativ ungestört, die Futteraufnahme war kaum beeinträchtigt. Das Ungewöhnliche war, dass fast jede der Jungsauen eines dieser Krankheitsanzeichen zeigte, aber keine Sau mehrere Symptome aufwies. Der Besitzer formulierte treffend: "Es sieht so aus, als wäre bei dieser Gruppe vergessen worden, die Handbremse zu lösen, alle kränkeln, aber keine ist richtig krank."
Betriebsdaten
In diesem Sauenbestand mit 450 Sauen ist ein Flatdeck angegliedert, in dem die Ferkel nach Altersstruktur gehalten werden. Sie kommen nach 21 Tagen in den Babyferkelstall, um von da aus in den Aufzuchtbereich umgestallt zu werden, bis sie als Läufer an Mastbetriebe verkauft werden.
Die Sauenherde ist PRRS positiv, die Tiere werden alle 4 Monate geimpft. Der Gesundheitszustand ist gut, auch Hygiene und Management sind zufriedenstellend. Mit den nachgelagerten Mastbetrieben bestehen langjährige Verträge, größere Probleme sind in den letzten Jahren nicht aufgetreten.
Jungsauen werden in den Bestand eingegliedert, ohne zuvor in einen Quarantänestall zu kommen. Die Remontierungsrate ist durchschnittlich.
Untersuchung
Die klinische Untersuchung der Jungsauen bestätigte in vollem Umfang die Beobachtungen des Besitzers, ohne jedoch entscheidende Hinweise auf die Ursache des Problems zu liefern. Daher wurden von 5 Tieren mit unterschiedlichen Symptomen Blutproben entnommen und zur Untersuchung gesandt.
Alle 5 Proben waren PRRS (= Porcines Reproduktives und Respiratorisches Syndrom) positiv und Circovirus positiv. Bei 2 Tieren wurde PIA (= Porcine Intestinale Adenomatose) festgestellt.
Da die Symptomatik jedoch nicht gravierend war, die Jungsauen fraßen gut und schienen mit Hilfe ihrer Immunabwehr mit den Infektionen fertig zu werden, wurde keine medikamentöse Behandlung eingeleitet. Die PRRS-Impfung wurde im Rahmen der Bestandsimpfung später auch bei den Jungsauen durchgeführt.
Weiterer Verlauf
Ca. 14 Tage nach dem Erstbesuch stellte sich heraus, dass einige der Jungsauen umrauschten und die Symptomatik sich auch auf ältere Tiere ausbreitete. Hier wurde hauptsächlich ein trockener, kurzer Husten über wenige Tage oder die eitrige Bindehautentzündung mit ausgeprägter Schwellung ("Brillenbildung") beobachtet. Aber auch die Altsauen schienen mit den Symptomen gut fertig zu werden, Aborte, Sinken der Futteraufnahme oder erhöhte Körpertemperatur wurden nicht beobachtet.
Die Situation verschärfte sich, als die Erkrankung auch das Flatdeck mit den frisch abgesetzten Ferkeln erreichte. Hier waren die Symptome viel ausgeprägter, die Ferkel litten unter starkem Husten, Niesen und entzündeten Augen, bei ihnen war das Allgemeinbefinden hochgradig gestört. Ein starkes Auseinanderwachsen war die Folge, es wurden auch Tiere mit ausgeprägter Kopfschiefhaltung beobachtet.
Da durch die früh durchgeführte Diagnostik bei den Jungsauen das Erregerspektrum bekannt war, lag der Schluss nahe, dass sich eine bakterielle Sekundärinfektion auf das Ursprungsgeschehen aufgesetzt hatte. Die labordiagnostische Untersuchung bestätigte diesen Verdacht, es wurden E. coli, Streptokokkus suis und Staphylokokkus aureus gefunden. Bei der Sektion war auffällig, dass trotz des ausgeprägten Hustens keine Veränderungen der Lunge anzutreffen waren. Eitrige Entzündungsherde und starke, z.T. blutige Schwellungen wurden im Bereich der Nasenschleimhäute gefunden.
Nach dem vom Labor durchgeführten Resistenztest wurde im Flatdeck Amoxycillin als Therapeutikum über das Trinkwasser eingesetzt, jedoch war der Erfolg eher mäßig. Der Husten und die Bindehautentzündung schienen von dieser Therapie unbeeinflusst, die Tiere, die eine ausgeprägte Kopfschiefhaltung zeigten, besserten sich deutlich.
Aus den angeschlossenen Mastbetrieben kam nun auch die Rückmeldung, dass dort vermehrt Schweine mit Durchfall, Husten und Kopfschiefhaltung beobachtet wurden. Die täglichen Zunahmen gingen um 300g zurück. In einem dieser Betriebe wurden die Tiere mit Chlortetrazyklin behandelt, was die Symptome reduzierte, jedoch wurde gewohnte Leistung nicht erreicht.
Die ausgeprägte Bindehautentzündung bei vielen Tieren erhärtete den Verdacht, dass Chlamydien am Infektionsgeschehen beteiligt sein könnten. Bei Laboruntersuchungen konnten in diesem Fall jedoch keine Keime dieser Art nachgewiesen werden. Trotzdem wurde die Behandlung der Ferkel im Flatdeck des Zuchtbetriebes auf Chlortetrazyklin umgestellt. Diese Maßnahme ist eine Art diagnostischer Therapie, bei der auf Grund des klinische Erscheinungsbildes auf die Ursache der Erkrankung geschlossen wird, ohne das dies labordiagnostisch abgesichert ist. Dabei ist wichtig zu wissen, dass der Nachweis von Chlamydien schwierig ist und nicht immer gelingt.
Wie auch im Fall des Monats Januar 02 ist eine sofortige und eindeutige Bestimmung der ursächlich beteiligten Erreger, nämlich der Chlamydien nicht sofort erfolgt. Das liegt in der unspezifischen Erscheinungsform der Krankheitssymptome begründet.
Beurteilung
Im vorliegenden Fall wird angenommen, dass die Circoviren, die bei den Jungsauen am Anfang ebenfalls nachgewiesen wurden, ein Angehen der Chlamydien-Infektion erst möglich gemacht hat. Wie auch beim PMWS (Postweaning Multisystemic Wasting Syndrome - "Kümmern nach dem Absetzen"), bei dem das Porcine Circovirus Typ 2 ursächlich beteiligt ist, jedoch allein das Syndrom nicht auslösen kann, scheint es hier durch die Vergesellschaftung mit Chlamydien zu einer Erstinfektion mit anschließender Immunität des gesamten Bestandes gekommen zu sein.
Die älteren Tiere konnten durch ihr leistungsfähigeres Immunsystem mit der Erkrankung relativ leicht fertig werden, während die Ferkel erhebliche Einbußen in der Leistung zeigten.
Fazit
Wandern in einen gesunden gewachsenen Altsauenbestand neue Keime ein, können die Tiere diese Neuinfektion relativ gut überstehen, da sie über ein kompetentes Immunsystem verfügen, das schnell reagiert. Die sogenannte passive Immunität, die Ferkel während der ersten Lebenswochen schützt, kann aber nicht schnell genug umgestellt werden, so dass Ferkel für "neu auftretende" Erkrankungen keinen Schutz besitzen. Die über Jahre ausgebildete Zusammensetzung der Immunität reicht völlig für die sogenannte bestandsspezifische Keimflora.
Gegen eine aerogen (= durch die Luft verbreitete) Infektion kann kein Bestand abgeschottet werden. Aber andere Einflüsse können z. B. durch eine Quarantäne-Aufstallung von Zukauftieren reduziert werden. Zu diesem Themenkomplex gehört natürlich auch eine konsequente, sorgfältige Schadnagerbekämpfung und die Kontrolle des Personenverkehrs in den Stallgebäuden.