Fall des Monats Juli 2011
Die besten Ferkel sind tot
Tierarzt Jens Jungbloot, Praxis für tierärztliche Bestandsbetreuung und Qualitätssicherung im Erzeugerbetrieb Schwein Dr. Reinhold Heggemann, 25782 Tellingstedt
Der Bestand
Der heute vorzustellende Fall trat in einem Ferkelerzeugerbetrieb auf, der 30 kg-Mastläufer vermarktet. In den letzten Jahren konnte er die Anzahl produzierter Ferkel drastisch steigern, einerseits durch Aufstockung der Sauen, anderseits aber auch durch eine Leistungssteigerung seiner Sauen.
Der Fall
Durch die Leistungssteigerung kam es häufiger zu Engpässen auf dem Flatdeck. Deshalb war eine möglichst kurze Verweildauer der Ferkel im Flatdeck anzustreben, was unter anderem durch ein höherwertiges Ferkelfutter und dadurch höhere Tageszunahmen realisiert werden sollte. Kurz nach diesem Futterwechsel meldete er sich: „meine besten Ferkel kippen um“. Dabei lief das Geschehen rasend schnell ab, so dass jeder Behandlungsversuch, auch per Injektion, vergeblich war.
Bild: E.coli Bakterien verursachen je nach Serotyp unterschiedliche Krankheitsbilder von Durchfall über Ödemkrankheit bis hin zu akutem Kreislaufversagen.
Diagnostik und Behandlung
Auf Grund des Vorberichtes wurde sofort die Verdachtsdiagnose Oedemkrankheit (Kolienterotoxämie) gestellt. Um diese Diagnose dennoch abzusichern, wurden zwei verendete Tiere zur Sektion gebracht. Zeitgleich wurde sofort eine orale Behandlung mit Colistin eingeleitet.
Weiterer Verlauf
Drei Tage nach Beginn der Therapie traten keine Todesfälle mehr auf. Damit war eigentlich der Verdacht schon bestätigt. Vollständige Gewissheit erbrachte dann der Sektionsbefund: hochgradige Unterhautödeme an den Köpfen und der Nachweis von Escherichia coli mit dem Serotyp O141:K85ab bestätigten die Verdachtsdiagnose. Zusätzlich wurden Streptokokken und Staphylokokken nachgewiesen, unter anderem in den Gelenken, die aber nicht mit dem aktuellen Krankheitsgeschehen in Zusammenhang stehen.
Diskussion
Die durch E.coli ausgelöste Ödemkrankheit kommt in der heutigen Schweineproduktion sehr häufig vor (siehe auch Fall des Monats Oktober 2010).
Grundsätzlich sind E.coli-Bakterien zu den normalen Darmbewohnern zu zählen, die erst bei übermäßiger, unkontrollierter Vermehrung zu entsprechenden Krankheitsbildern führen können.
Die Ursachen dafür sind vielfältig und können sowohl isoliert, als auch in Kombination ein Krankheitsgeschehen auslösen.
Genetische Faktoren wie Zucht auf höhere Mastleistung durch höheres Futteraufnahmevermögen spielen genauso eine Rolle bei der Entstehung (genetische Disposition), als auch veränderte Haltungsbedingungen und die Futterzusammensetzung.
Bild: Ein Fressplatzverhältnis von 1:1 nach dem Absetzen beugt u.a. der Ödemkrankheit vor.
So werden Ferkel häufig in Großgruppen mit ungünstigem (zu großem) Fressplatz- Tierverhältnis bei ad libitum Fütterung gehalten. Dies führt dazu, dass ein Teil der Ferkel permanent Futter im Magen/Dünndarm hat und eine vollständige Durchsäuerung des Inhalts nur noch unzureichend gewährleistet ist. Im leeren Magen ist der pH-Wert durch die Magensäure bei 2. Im vollen Magen dagegen steigt der pH Wert rasch an. Gerade bei hoher Eiweiß- und Mineralstofffütterung kann es durch die hohe Eigenpufferkapazität dieser Komponenten sogar zu einem basischen Milieu (pH über 7) im Verdauungstrakt kommen. Dies sind die Bedingungen für das sogenannte Aufsteigen der Colikeime aus dem Dickdarm in den Dünndarm und deren massenhafte Vermehrung. Die Futtermittelindustrie versucht dieser Tatsache z.B. durch den Zusatz von Futtersäuren entgegenzuwirken.
Der jeweils vorliegende oder vorherrschende E.coli- Stamm entscheidet über den Verlauf der Krankheit. Krank machende E.coli bilden je nach Serotyp unterschiedliche Toxine. Das Enterotoxin steigert die Darmsekretion, wodurch es zu Durchfällen kommt. Das von einigen Stämmen gebildete Shigalike- Toxin ist für Ödeme verantwortlich. Wird Endotoxin gebildet, kommt es zu Kreislaufschocks. Es können auch mehrere Toxine nebeneinander vorkommen, was die unterschiedliche Ausprägung einer E.coli Infektion erklärt, sowie die unterschiedlichen, von perakuten Todesfällen bis hin zu schleichenden Verläufen der Erkrankung.
Da man häufig mit akuten und perakuten Verläufen konfrontiert ist, muss der Schwerpunkt der Bekämpfung bereits bei der Vorbeugung liegen.
Um Oedemkrankheit zu vermeiden, sollte die Fütterung, die Wasserversorgung und die Haltung der Ferkel überprüft werden. Ein Diätfutter sollte 16% Eiweiß nicht überschreiten, mindestens 6% Rohfaser enthalten und wenig Calciumcarbonat aufweisen. Ziel muss sein, die Pufferkapazität des Futters zu senken. Der optimale pH-Wert des Futters liegt bei 4,5 bis 4,8. Säurezusätze sind durch das Futtermittelrecht geregelt und können in den erlaubten Mengen in aller Regel nicht zu diesen pH-Werten führen. Ein gangbarer Weg ist der Einsatz gekapselter Säuren. Diese entfalten ihre Wirkung erst im Dünndarm und können so nicht bereits im Magen abgepuffert werden. Permanentes Futterangebot, zu wenig Futterplätze und abrupte Futterwechsel müssen vermieden werden. Wichtig sind eine von der Futterstelle getrennte Trinkwasserversorgung und ausreichend Tränkeplätze. Eine Tränkestelle für maximal(!) 12 Ferkel ist gemäß Schweinhaltungsverordnung anzubieten. Die Ferkel sollten Futter und Trinkwasser ruhig und stressfrei aufnehmen können. Deshalb sind Überbelegungen kontraproduktiv.
In einigen Fällen führen all diese Maßnahmen zu keinem Erfolg oder nur zu einem Teilerfolg. In diesen Fällen ist eine Metaphylaxe für die kritischen Phasen der Aufzucht, häufig 7-10 Tage nach Einstallung oder bei Futterwechsel, zu empfehlen. Die Metaphylaxe sollte durch ein Antibiogramm abgesichert werden.