Fall des Monats Juni 2006
Teilnahmslose Ferkel
Dr. Reinhold Heggemann, 25782 Tellingstedt
Der Bestand
Diesen Monat stellen wir Ihnen einen Betrieb mit ca. 150 Sauen vor, der seit Jahren ohne größere Probleme produziert. Die Sauen werden gegen Rotlauf/Parvo, sowie Influenza und die Ferkel gegen Mycoplasmen und PIA geimpft. Der Bestand ist frei von PRRS und Circo-Problemen.
Der Fall
Am Montagmorgen rief der Besitzer sehr besorgt an und schilderte die Symptome: Die Gruppe der zuletzt abgesetzten Ferkel (vor 4 Tagen) sei sehr schläfrig und teilnahmslos, einige lägen auf der Seite. Die Frage nach Messung der Körpertemperaturen wurde verneint. Er wüsste auch nicht, was mit den Ferkeln wäre und sei sehr besorgt.
Die Untersuchung
Nach einer halben Stunde wurde der Betrieb aufgesucht und als erstes fiel auf, dass die betroffenen Tiere insgesamt sehr ruhig waren. Einzeltiere lagen in Seitenlage, ruderten zeitweise mit den Vorderbeinen und knirschten mit den Zähnen. Bei der näheren Untersuchung einzelner Ferkel zeigten diese Krämpfe, vermehrtes Speicheln und epileptiforme Anfälle. Einzeltiere in der Bucht drängten scheinbar orientierungslos gegen den Trog oder die Gitter der Buchtenabtrennung. Auf den Gang verbrachte Ferkel nahmen eine hundesitzige Stellung ein (Hinterbeine unter den Bauch) oder bekamen akute Krampfanfälle, die nach ca. 1 Minutewieder verschwanden. Einige Ferkel setzten auf dem Gang spontan Harn ab.
Die zwischenzeitlich durchgeführten Messungen der Körpertemperatur bei 7 Tieren ergaben normale, bzw. leicht erhöhte Werte von 38,7° bis 39,6° C. Die Überprüfung der Wasserversorgung (2 Tränkenippel/Bucht für ca. 10 Ferkel) ergab keine Besonderheiten. Eine Geschmacksprobe des Futters ergab einen ganz leicht bitteren, salzigen Nachgeschmack. Trotz der vorhandenen Wasserversorgung wurde die Verdachtsdiagnose „Kochsalzvergiftung“ gestellt. Interessanterweise waren in dem Abteil auf der linken Seite auch Ferkel, die eine Woche älter waren. Diese und auch alle anderen abgesetzten Ferkel waren klinisch unauffällig, obwohl die Tiere ausnahmslos das gleiche Ferkelfutter bekamen!
Weiteres Vorgehen
Als Sofortmaßnahme wurde das restliche Futter aus den Trögen geleert und stattdessen mit Wasser gefüllt. Die Mehrzahl der Ferkel nahm dies begierig auf. Circa 10 Ferkel (von 40) kamen nicht eigenständig zum Trog. Diese Tieren erhielten mehrmals kleine Mengen Wasser, das manuell mittels einer großen Spritze eingegeben wurde. Dabei fiel auf, dass 2 Tiere keinen Schluckreflex mehr zeigten. Nach dieser Notfallversorgung wurde der Futtermittellieferant telefonisch von dem Sachverhalt unterrichtet und eine Futterprobe entnommen.
Weiterer Verlauf
Bereits 30 Minuten nach der Wassergabe machte die Ferkelgruppe insgesamt einen wesentlich mobileren Eindruck. Einzelne, auffällige Ferkel bekamen nochmals Wasser von Hand. Die letzte Futterlieferung wurde vom Lieferanten abgeholt, der ebenfalls eine Futterprobe entnahm. Außerdem wurde anderes Futter für die Ferkel angeliefert. Nach Prüfung des Mischprotokolls durch den Futterlieferanten, versicherte dieser die korrekte Ausführung der Mischung.
Die manuelle Wassergabe wurde bei den am schlimmsten betroffenen Ferkeln in den folgenden Stunden bis zur vollständigen Genesung fortgesetzt. Letztendlich verendete ein Ferkel am Folgetag. Die Untersuchung des Futters ergab einen Natriumgehalt von 0,22 %; der Sollgehalt per Deklaration lag bei 0,2 % und war somit nicht erhöht. Der Futtermittelhersteller schloss daraufhin eine Natriumvergiftung durch das Futter aus.
Diskussion und Bewertung
Der hier vorliegende Fall ist insofern ungewöhnlich, als dass alle Ferkel das gleiche Futter bekamen, aber nur die zuletzt vor vier Tagen abgesetzte Ferkelgruppe klinische Symptome zeigte. Da die Futteruntersuchung keinen erhöhten Natriumgehalt ergab, kann davon ausgegangen werden, dass hier keine direkte Kochsalzvergiftung vorlag, sondern eine sogenannte indirekte Vergiftung. Diese kommt dadurch zustande, weil die frisch abgesetzten Ferkel im Verhältnis zum Futter zu wenig Wasser aufgenommen haben. Natrium als Bestandteil von Kochsalz (NaCl) wird über die Niere ausgeschieden und die Ausscheidungsrate ist direkt abhängig von der Wasseraufnahme.
Die Diagnose „Kochsalzvergiftung“ war in diesem Fall zunächst „unlogisch“, da alle Ferkel das gleiche Futter erhielten und außerdem bei den betroffenen Ferkeln Wasser im Tränkenippel anlag. Die eindeutigen Symptome und die schnelle Genesung nach Wassergabe ließen jedoch keine andere Schlussfolgerung zu. Eine Erklärung für diese Umstände und Zusammenhänge ist die fehlende Erfahrung der frisch abgesetzten Ferkel mit dem Tränkesystem (Nippel). Eine zusätzliche Gabe von Wasser in den ersten Tagen nach dem Absetzten in separaten Tränkeschalen kann dieses Defizit wirksam verhindern.
Die deutlichen zentralnervösen Symptome wie Krämpfe, Krampfanfälle, Speicheln, Rudern in Seitenlage, Koordinationsstörungen und blindes Vorwärtsdrängen lassen sich im Wesentlichen durch die direkte Wirkung des vermehrten Natriums auf die Hirnhäute und die Hirnrinde erklären. Diese sind vermehrt durchblutet und schwellen an, sodass sich daraus die Symptome – ähnlich wie bei einer Coli Intoxikation (Ödemkrankheit)- erklären. Eine genaue Bestimmung der Toxizität ist schwierig und letztlich an den klinischen Symptomen festzumachen.
Eine Verifikation ist zum Einen durch Futteruntersuchung möglich oder auch durch die Untersuchung von Rückenmarksflüssigkeit. In der Literatur werden Werte von 160 mEq NaCl/l oder höher als Indiz für eine Vergiftung gewertet. Ein indirekter Nachweis kann auch durch Blutuntersuchung geführt werden. Bei Intoxikation wären dann der Hämatokrit und der Gehalt an Natrium im Blut erhöht. Ebenso erhöhen sich Leber- und Nierenwerte.