Fall des Monats Mai 2007
Lahmheiten und Festliegen bei Mastschweinen
Jens Jungbloot, Praxis Dr. R. Heggemann, 25782 Tellingstedt
Der Bestand
Heute möchten wir Ihnen ein Mastbetrieb mit 1800 Plätzen vorstellen. Der Betrieb besitzt zehn Abteile zu jeweils 180 Mastplätzen. Die Abteile sind in sechs Buchten unterteilt. Die Fütterung erfolgt über Breiautomaten. Der Landwirt ist Eigenmischer und kauft Futterkomponenten, wie Soja und Mineralstoffe zu. Die Läufer werden von einem festen Ferkelerzeuger zugekauft; dabei erfolgt die Aufstallung abteilweise im Rein-Raus-Verfahren. Die Läufer werden beim Sauenhalter gegen PIA und Mycoplasma hyopneumoniae geimpft.
Der Fall
Der Mäster beobachtete vermehrtes Zusammenbrechen und Festliegen der Tiere in der Mittel-Endmast. Da er etwa sechs Wochen vorher ein anderes Mineralfutter bezogen hatte, vermutete er eine Kalziumunterversorgung und erhöhte den Kalziumgehalt. Er hatte den Eindruck, dass sich das klinische Erscheinungsbild besserte und beruhigte. Aufgeschreckt wurde der Mäster durch die neueste Schlachtabrechnung, bei der vier Mastschweine am Schlachthof als untauglich eingestuft wurden. Als Grund wurde die Nichtverwertbarkeit der Schinken angeführt. Diese Tiere hatten aber bereits die höhere Kalziumkonzentration bekommen. Als in der nächsten Abrechnung wieder zwei Schweine untauglich bewertet wurden, konsultierte der Landwirt unsere Praxis.
Die Untersuchung
Zuerst wurde ein Stalldurchgang vereinbart. Insgesamt fiel das sehr ruhige Verhalten der Tiere auf. Nur einige Schweine standen spontan auf, viele legten sich nach kurzer wieder hin. Es fielen vermehrt Tiere auf, die insbesondere Schmerzen in der Hinterhand hatten und diese schonten. Viele Tiere saßen auf den Schinken in der sogenannten hundesitzigen Stellung. Einige Tiere verweigerten das Aufstehen vollkommen. Bei fast allen Schweinen waren Auftreibungen in unterschiedlicher Ausprägung an den Gliedmaßen zu sehen. Dies betraf auch schon jüngere, erst kürzlich zugekaufte Tiere. Bei der Untersuchung von lahmen Tieren waren zu 80 Prozent ein oder beide Tarsalgelenke (Sprunggelenk am Hinterbein) verdickt. Man konnte deutlich die Aussackung der Gelenkkapsel an der Vorderseite des Gelenks sehen und fühlen, was durch eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung im Gelenk hervorgerufen wird. Auf Grund dieser Untersuchungsbefunde wurde die vermutete Unterversorgung mit Kalzium als unwahrscheinlich eingestuft und eine Infektion der Gelenke mit Streptokokken oder Haemophilus parasuis, dem Erreger der Glässerschen Krankheit, vermutet. Um die Diagnose exakt abzuklären wurden zwei Läufer mit beginnender Klinik zur Sektion geschickt und von jüngeren und älteren Masttieren jeweils fünf Blutproben gezogen.
Das Ergebnis
Der erste Läufer, der zur Sektion gebracht wurde, wog 23 kg und war erst vor einigen Tagen aufgestallt worden. Der pathologische Befund lautete:
Hochgradige fibrinöse Polyserositis und geringgradige intertestielle Pneumonie (Erklärung siehe weiter unten, Kapitel „Diagnose und Therapie“).
Die bakterielle Untersuchung ergab :
Lunge : Streptococcus suis + Bordetella bronchiseptica,
Organe: Streptococcus suis + Escherichia coli
Gelenke: Staphylococcus hyicus.
Ansonsten wurde mittels PCR noch Mycoplasma hyorhinis in der Lunge und Mycoplasma hyosynoviae in den Gelenkkapseln gefunden.
Der zweite Läufer war dreißig Tage im Bestand und wog 41 kg. Vorherrschendes pathologisches Bild war wiederum eine hochgradige fibrinöse Polyserositis und geringgradige interstielle Pneumonie. Bei der Bakteriologie waren in Lunge, Organen und Darm hochgradig Streptococcus suis gefunden worden. In der Nase und in den Augenbindehäuten fanden sich verschiedene Staphylokokken und Streptokokken. In den Gelenken konnten bakteriologisch keine Erreger nachgewiesen werden.
Mittels der PCR wurden in der Lunge PCV-2 (Circovirus), Haemophilus parasuis und Mycoplasma hyorhinis und in der Gelenkkapsel Mycoplasma hyosynoviae gefunden.
Die Blutuntersuchungen bestätigten und ergänzten den pathologischen Befund: Frisch eingestallte Läufer hatten einen geringen Antikörperspiegel gegen Haemophilus parasuis. Untersuchte Läufer dreißig Tage im Bestand waren dagegen hoch positiv.
Zusätzlich wurde auch auf PRRS untersucht. Hier waren alle Proben negativ, also PRRS- frei.
Diagnose und Therapie
Im Vordergrund stand die hochgradige fibrinöse Polyserositis. Dieses pathologische Bild steht für die Glässersche Krankheit. Der Erreger für diese Erkrankung ist Hämophilus parasuis und befällt sogenannte seröse Häute wie Lungenfell, Brustfell, Herzbeutel, Bauchfell, aber auch Gelenkauskleidungen. Charakteristisch sind die dabei zu findenden Fibrinfäden (weitere Informationen: →Infopool→Glässersche Krankheit- Grundlagen). Erstaunlich war, dass im Betrieb wenig Kümmerer zu sehen waren, die sonst bei diesem Krankheitsbild häufig vorhanden sind. Lediglich die täglichen Zunahmen mit 760 Gramm deuteten ein Problem an.
Weitere gefundene Erreger wie Streptococcus suis und andere Streptokokken, Mycoplasma hyosynoviae und Mycoplasma hyorhinis können an Gelenkentzündungen beteiligt sein. Gelenkentzündungen durch Streptokokken findet man häufig bei Ferkeln und Läufern, aber durchaus auch als Mischinfektion bei älteren Tieren.
Mycoplasma hyosynoviae und hyorhinis rufen häufig bei älteren Tieren schmerzhafte Gelenkentzündungen, verbunden mit steifen Gang, hervor. Gerade in der Jungsauenaufzucht ist dies ein bekanntes Problem. Die Erreger alleine verursachen Gelenkentzündungen ohne nennenswerter Gelenkschwellung.
Im beschriebenem Fall sind die Probleme auf eine Mischinfektion mit allen drei Erregergruppen zurückzuführen. Die Glässersche Krankheit übernimmt dabei die Pionierrolle.
Diese Ergebnisse wurden mit dem Ferkelerzeuger besprochen, da eine frühzeitige Behandlung entsprechend dem Infektionszeitpunkt geboten ist. Daraufhin führte er eine medikamentelle Metaphylaxe in den ersten drei Flatdeckwochen nach dem Absetzen durch. Bei Aufstallung im Maststall erfolgte eine zweite orale Behandlung für die Dauer von zehn Tagen mit Amoxicillin. Die schon erkrankten älteren Mastschweine wurden ebenfalls mit Amoxicillin oral über zehn Tage behandelt. Festliegende Tiere wurden per Injektion versorgt. Diese erhielten zusätzlich ein schmerzlinderndes Medikament.
Der Verlauf
Die sofortige Behandlung der erkrankten Tiere mit Amoxicillin brachte eine deutliche Besserung. Alle Tiere erreichten die Schlachtreife.
Durch die eingeführte Metaphylaxe beim Sauenhalter und zu Beginn der Mast konnte die Fundamentgesundheit nachhaltig verbessert werden. Auftreibungen an den Beinen waren mittlerweile selten. Diese Tiere erkrankten auch nicht mehr in der Endmast.
Diskussion und Bewertung
In dem dargestellten Fall wird deutlich, dass Fundamentprobleme oft multifaktoriell sind. Hier sind zunächst ernährungsbedingte Ursachen wie Kalzium-, Vitamin D-Mangel oder ungenügendes Kalzium-Phosphor-Verhältnis zu nennen. Dieser Komplex kann zu Störungen bei der Knochen- oder Knorpelbildung führen, was sich in Gelenkschmerzen (oft in der Vorderhand) bis hin zu Knochendeformationen äußern kann. Durch die in aller Regel ausgewogene, bedarfsgerechte Fütterung ist dieser Themenkomplex heute nur noch selten anzutreffen.
In der modernen Schweinehaltung an Bedeutung gewonnen hat hingegen die sogenannte Osteochondrose. Hier handelt es sich um eine Wachstumserkrankung vor allem in der Hybridzucht, die auf eine Störung der Knorpelbildung zurückzuführen ist. Diese führt zu Fehlstellungen und Schmerzen, häufig besonders in der Vorderhand. Ursache ist die Frohwüchsigkeit der Schweine. Hier muss und kann mit einer behutsamen Wachstumsintensität gegengesteuert werden.
Bei Erkrankungen von Einzeltieren ist an eine Vielzahl mechanischer Einflüsse, die zu Verletzungen führen können, zu denken.
Bakterielle Ursachen für Lahmheiten wurden in diesem Fall dargestellt. Hierbei können einzelne Erreger wie Streptokokken, Hämophilus etc. alleine oder in Mischinfektion ursächlich für Gelenkerkrankungen verantwortlich sein. Es können aber auch noch andere Erreger wie z.B. Erysipelothrix rhusiopathiae, der Erreger des Rotlauf, eigenständig Gelenkerkrankungen auslösen. Erwähnenswert erscheint an dieser Stelle, dass die in diesem Fall gefundenen Mycoplasmen (M.hyosynoviae und M.hyorhinis) nicht durch die auch hier durchgeführte Impfung gegen Mycoplasmen abgedeckt sind. Die landläufig durchgeführte Mycoplasmenimpfung schützt ausnahmslos nur gegen eine Infektion mit Mycoplasma hyopneumonieae.
Um eine gezielte Therapie einleiten zu können, ist daher eine genaue Diagnosestellung im Vorfeld unumgänglich.
Die Eingangs erwähnten Auftreibungen an den Gliedmaßen sind nicht ursächlich durch die Infektion bedingt, sondern entstehen sekundär durch das vermehrte Liegen der Tiere. Die Auftreibungen sind als Umfangsvermehrung des (der) Schleimbeutel zu verstehen und außen oder im hinteren Bereich der Gliedmaße zu finden. Die durch eine Infektion primär entstehende Umfangsvermehrung der Gelenksflüssigkeit äußert sich dagegen auf der Vorderseite der Gliedmaße bzw. in der Beuge des Sprunggelenkes.