Fall des Monats Oktober 2001
Vorgehensweise bei der Diagnose von Atemwegserkrankungen aus der Sicht eines Praktikers
Barry Kerkaert, Minnesota, USA
Einleitung
Atemwegserkrankungen sind oft ein großes Problem in schweinehaltenden Betrieben. In den letzten 10 Jahren fanden viele Veränderungen bezüglich der Aufstallungsformen, der Hygienekonzepte und der Impfprogramme statt. Auch die Erreger selber verändern sich laufend, z. B. gibt es neue Influenza-Stämme, das Circovirus wurde bedeutsam und auch das PRRS-Virus trat in immer mehr Beständen auf.
Daher erfordert auch die Diagnosestellung eine ständige Anpassung. Aufgrund der verschiedenen Gegebenheiten in den Beständen (Rein-Raus-Verfahren - Kontinuierliche Aufstallung, hoher oder niedriger Hygienestandard, unterschiedliches Management und Tierbeobachtung) hat es sich als wirkungsvoll erwiesen, ein Untersuchungsschema einzuführen. Ein starres Gerüst zur Untersuchung verhindert unter anderem, dass wichtige Kriterien übersehen werden.
Vorbericht
Der Vorbericht setzt sich aus den Daten zusammen, die der Tierhalter erhoben hat, und die Grund für einen Anruf beim Tierarzt sind. Dazu gehören auch Produktionsdaten wie Futter- und Wasserverbrauch, Häufigkeit und Länge des Auftretens von Krankheitssymptomen und vieles mehr. Die wichtigsten Fragen zum Vorbericht:
- Wie alt sind die betroffenen Tiere?
- Welche Atemwegserkrankungen traten in der Vergangenheit auf?
- Wann wurde die Erkrankung zum ersten Mal bemerkt?
- Sind bereits Tiere verendet?
- Wie viele Tiere sind erkrankt?
- Sind außer Husten und Nasenausfluss weitere Symptome beobachtet worden?
- Wurde bei den erkrankten Tieren Fieber festgestellt? Wenn ja, wie hoch?
- Wurden bereits verendete Tiere zur Sektion eingesandt? Liegen bereits Ergebnisse vor?
- Wurde schon eine Behandlung durchgeführt? Wenn ja, womit?
- Wurden im Vorfeld Impfungen durchgeführt?
Aus dem so erhobenen Vorbericht kann in vielen Fällen bereits ein Hinweis auf die Ursache der Erkrankung gewonnen werden.
Der Bestandsbesuch
Dafür empfiehlt sich folgendes Vorgehen:
Zuerst werden die Tiere in den Stallungen untersucht, die keine Symptome zeigen. Auch hier sollte auf Futter- und Wasserverbrauch geachtet werden. Auch die Stallparameter wie Lüftung und Temperatur sollten beachtet werden.
Dann werden die erkrankten Tiere untersucht. Daneben müssen die Temperaturen der letzten Tage überprüft bzw. erfragt werden. Oft liegt die Ursache für eine Atemwegserkrankung im Ausfall einer Lüftungsanlage!
Fragen zu Stallparametern:
- Minimum- und Maximum-Temperaturen der letzten Tage?
- Ist die Einstellung der Lüftung angemessen für die Wetterbedingungen?
- Sind die Luftklappen frei beweglich, oder ist der Luftstrom eingeengt?
- Funktioniert die Regelung?
- Wo sind die Sensoren angebracht? Sind sie funktionsfähig?
- Ist die Heizung ausreichend?
- Gibt es Zugluft?
- Liegen Gebäudeschäden vor?
Um den Infektionsdruck zu ermitteln, sollte die prozentuale Anzahl der Erkrankungen (= Morbidität) ausgerechnet werden.
Bereits verendete Tiere sollten innerhalb von 24 Stunden an ein Untersuchungslabor geschickt werden. Diese Ergebnisse können für die Therapie von unschätzbarem Wert sein. Daneben liefert die labordiagnostische Untersuchung wichtige Hinweise wenn an der Erkrankung verschiedene Erreger beteiligt sind. Bei bakteriellen Atemwegserkrankungen kann durch den Resistenztest eine gezielte und wirksame Behandlung bestimmt werden. Auch für den weiteren Verlauf ist es wichtig, die Ursache einer Erkrankung genau zu kennen. Im Wiederholungsfall kann so viel schneller eine geeignete Therapie eingeleitet werden.
Sollen lebende Tiere zur Sektion gebracht werden, ist die Auswahl sehr wichtig. Tierhalter neigen dazu, sehr "krank aussehende" Tiere auszusuchen. Diese können sich jedoch bereits in einem chronischen Zustand der Infektion befinden, was einen Erregernachweis erschwert. Die besten Ergebnisse liefern akut erkrankte Tiere in der Fieberphase, die die typischen Symptome der Bestandserkrankung zeigen.
Bei Atemwegserkrankungen in Mastbeständen ist es außerdem sehr hilfreich, Informationen über den Gesundheitszustand und die Anzahl der zuliefernden Betriebe zu haben. In der Praxis ist das oft schwierig, vor allem, wenn die Tiere aus vielen Herkünften stammen. Eine stabile Züchter-Mäster Beziehung mit dem Austausch derartiger Informationen ist im Krankheitsfall von großer Bedeutung. Auf jeden Fall sollte man den Impfstatus von Mastschweinen kennen. Stammen sie aus PRRS-freien Zuchtherden, sind sie gegen Mykoplasmen geimpft?
Beispiel einer besonders schweren Erkrankung in einem Mastbetrieb
Vorbericht
Die Erkrankung trat in einer Aufzuchtanlage mit 4800 Tieren auf, die in 4 Gebäuden à 1200 Ferkel gehalten wurden. In einem der Gebäude war das Auftreten von Husten und Nasenausfluss plötzlich sprunghaft angestiegen, 3 Ferkel waren bereits verendet. Neben den Krankheitssymptomen war aufgefallen, dass der Wasserverbrauch nicht wie sonst üblich um 1 - 2% pro Tag angestiegen war. Die Tiere befanden sich seit 4 Wochen in dem Stall, sie kamen alle aus einem Betrieb.
Der Herkunftsbetrieb war serologisch PRRSV-positiv, die Sauen zeigten jedoch keine Anzeichen einer klinischen Erkrankung. Untersuchungsergebnisse ergaben, dass seit 6 Monaten die ausgelieferten Ferkel serologisch PRRSV-negativ waren. Die Sauen und auch die Ferkel dieses Zuchtbetriebes waren Mykoplasmen-negativ und Actinobacillus pleuropneumoniae (APP) - negativ, was in regelmäßigen Untersuchungen überprüft wurde. Die routinemäßig durchgeführte Untersuchung auf Influenza zeigte, dass die Sauenherde serologisch positiv reagierte, es wurden jedoch zu keiner Zeit Symptome festgestellt.
Klinische Untersuchung
Als erstes wurden die Tiere in den 3 nicht von der Erkrankung betroffenen Gebäuden untersucht. Sie machten einen gesundheitlich guten Eindruck, der Futter- und Wasserverbrauch entsprach den Tageszunahmen. Stallklima und andere Umgebungsparameter waren gut.
Im 4. Gebäude war das Stallklima ebenfalls gut. Die Erkrankungsrate lag bei ca. 40%, die erkrankten Tiere waren gleichmäßig über alle Buchten verteilt. Ca. 5 von 100 Tieren zeigten schwerste Atemwegsprobleme mit schweren Störungen des Allgemeinbefindens. Die Körpertemperatur der betroffenen Ferkel lag bei 40,0 - 40,5°C.
Sektionsergebnis
Die Sektion der 3 verendeten Tiere ergab eine starke Rötung der Lungen, bei einem Tier wurden Veränderungen wie bei einer chronischen Infektion durch Hämophilus parasuis oder Streptokokkus suis gefunden.
Weiteres Vorgehen und Therapie
- 3 ausgesuchte Tiere wurden lebend zur labordiagnostischen Untersuchung und Sektion geschickt.
- Eine Trinkwassermedikation mit einem Breitspektrum-Antibiotikum wurde eingeleitet.
- Die am stärksten betroffenen Tiere wurden per Injektion mit dem Antibiotikum behandelt.
- Um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern, wurden alle Mitarbeiter über das Geschehen informiert. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle Tätigkeiten wie Füttern oder Behandlungen in dem betroffenen Stall nach der üblichen Arbeit in den 3 anderen Gebäuden durchgeführt werden sollten. Beim Verlassen des "Krankenstalles" wurden die Overalls und Stiefel gewechselt und blieben im Gebäude.
Die Laboruntersuchungen der lebend eingesandten Ferkel ergab eine Infektion mit PRRSV und Hämophilus parasuis als Sekundärerreger. Die antibiotische Therapie wurde gemäß des Resistenztestes umgestellt.
Weiterer Verlauf
Nach 4 Tagen konnte keine Besserung des Krankheitsgeschehens festgestellt werden. Täglich verendeten 3 bis 5 Tiere, fast alle Ferkel waren von der Erkrankung betroffen. Sie hielten sich zusammengedrängt in den Ecken der Buchten auf (obwohl die Temperatur im Stall aufgrund der Erkrankung leicht erhöht worden war), die Futteraufnahme war dramatisch zurückgegangen. Ca. 120 Tiere (= 10%) zeigten schwere Atemnot, waren völlig abgemagert und apathisch.
Wieder wurden 5 verendete Tiere zur Sektion gebracht. Bei 3 der Ferkel glichen die Ergebnisse denen der ersten Untersuchung. Bei zweien fand man stark fibrinöse Lungen mit Verklebungen am Brustfell. Dieser Befund kommt häufig bei Infektionen mit APP (Actinobacillus pleuropneumoniae) vor.
Die Laboruntersuchungen bestätigten den Verdacht der Sektion: es lag eine Infektion mit Actinobacillus pleuropneumoniae (APP) vor. Daneben wurde PRRSV, Mykoplasma hyopneumoniae und Influenza H1N1 festgestellt.
Die antibiotische Therapie wurde durch Injektionen mit Penicillin bei den am schwersten betroffenen Tieren ergänzt.
Bei so einem komplexen Krankheitsgeschehen muss die Therapie per Injektion eingeleitet werden. Die betroffenen Tiere nehmen zu wenig Futter und Wasser auf, da ihr Allgemeinzustand zu sehr gestört ist. Das Geschehen hielt noch ca. 2 Wochen an, bevor die Sterblichkeitsrate sank. Die Tiere in den anderen 3 Gebäuden wurden ebenfalls untersucht. Alle Stichproben waren jetzt PRRSV-positiv; es hatte eine sogenannte Serokonversion stattgefunden. Es kam dort jedoch nicht zu einem Ausbruch einer Atemwegserkrankung - die Maßnahmen gegen die Erregerverbreitung hatten offensichtlich gewirkt.
Fazit
Ohne die wiederholten Untersuchungen hätte die komplexe Ursache für diesen Krankheitsausbruch nicht festgestellt werden können. Auch für die gesunden Tiere in den Nachbargebäuden ist es sehr wichtig zu wissen, welche Erreger beteiligt sind, um unnötige Behandlungsversuche zu vermeiden.
In der Zukunft ist auch der Ferkelerzeuger in der Pflicht, den Gesundheitszustand seiner Herde gerade in Bezug auf PRRS zu überprüfen und gegebenenfalls eine Impfung seines Bestandes durchzuführen.