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Interview mit Prof. Dr. Thomas Blaha


Pigpool: Herr Prof. Blaha, seit nunmehr 5 Jahren sind sie in den USA tätig und haben sich einen anerkannten Ruf als Experte in Sachen Lebensmittelsicherheit erworben. Als Deutscher beobachten sie sicher mit größtem Interesse auch die derzeitigen Entwicklungen in Deutschland. Denken auch sie - wie man es in diesen Tagen oft hört - dass die deutsche oder gesamte Landwirtschaft an einem Wendepunkt angelangt ist? 

Th. Blaha: Ja, ich glaube in der Tat, dass die deutsche wie die gesamte Landwirtschaft weltweit (zumindest in der sogenannten ersten Welt) an einem Wendepunkt angelangt ist. 

Ich möchte aber betonen, dass die BSE nicht der plötzlich aus dem Dunkeln aufgetauchte, nicht vorhersagbare und schicksalhafte Verursacher dieser Krise ist, sondern dass die BSE sozusagen der letzte Tropfen war, der den "Krug zum Überlaufen" gebracht hat. Das Schwinden des Vertrauens der Verbraucher und der Gesellschaft in das derzeitige Lebensmittelsicherheitssystem im allgemeinen und in die landwirtschaftliche Primärproduktion im besonderen hat schon viel früher eingesetzt. Seit den frühen 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, beginnend mit dem plötzlichen Anstieg der Salmonella-enteritidis-Infektionen, gefolgt von BSE in England, den Escherichia-Coli-Infektionen in den USA und dann in Europa, der wachsenden Skepsis der Antibiotika-Anwendung in der Tierproduktion, dem Dioxin-Problem, dem gegenwärtigen Medikamentenskandal, und... es wird weiter so gehen, wenn nichts am Gesamtsystem geändert wird. 

Wenn Sie mich an dieser Stelle fragen würden, was denn das Wichtigste bei dieser Änderung des Gesamtsystems ist, so würde ich antworten: Schaffung von vertikal koordinierten Produktionsketten als Garanten für Transparenz und Produkthaftung in der Lebensmittelproduktion vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zur Ladentheke.

Pigpool: 
Was bedeutet die derzeitige Krise speziell für die Entwicklung der Schweinehaltung in Deutschland? 


Th. Blaha: Nun, zunächst einmal muss festgestellt werden, dass die BSE nicht nur eine Krise für das Rindfleisch bedeutet, sondern eine Krise für alle Lebensmittel tierischen Ursprungs schlechthin, also auch für die Schweinehaltung in Deutschland. Aber: jede Krise ist nicht nur eine Herausforderung in Form einer zu bewältigenden Katastrophe, sondern auch eine Chance für neue Ansätze und für die Überwindung von Überlebtem. 

Lassen Sie uns hier weniger über die "Katastrophe" als über die Chancen reden. Traditionell ist die Schweinefleischproduktion in die Segmente Futtermittelproduktion, Zucht, Mast, Schlachtung, Verarbeitung, Verteilung und Einzelhandel aufgeteilt. Das war solange nicht nur akzeptiert, sondern auch für jedes Segment vorteilhaft, wie die sogenannten Zulieferbeziehungen auf dem "Sich-persönlich-Kennen" der einzelnen Partner in der Kette basierten (der Fleischer im Ort kannte die ihn beliefernden Landwirte und die bei ihm einkaufenden Kunden persönlich und jeder vertraute jedem). Über lange Zeit machte es Sinn, dass diese Segmente sich horizontal organisiert and konsolidiert haben (Futtermittelverbände, Zuchtorganisationen, Erzeugergemeinschaften, Schlachthofverbände, Handelsorganisationen), um in einer preisdiktierten Geschäftswelt Verhandlungsvorteile gegenüber der jeweils vor- und nachgelagerten Stufe zu erzielen. 

Mit zunehmendem Wohlstand der Verbraucher aber tritt der Preis der Konsumgüter immer mehr in den Hintergrund und ihre Qualität (= nachgefragte und zugesicherte Eigenschaften der Produkte), gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. Dabei geht es um das Aussehen, den Geschmack und um den nutritiven Wert der Lebensmittel, aber eben auch, und das in zunehmendem Masse, um Fragen der Lebensmittelsicherheit wie Rückstände und Salmonellen, um Tierschutz und um Umweltschutz. Dieses veränderte Verbraucherverhalten passt nun überhaupt nicht mehr in die Welt der horizontal organisierten und konsolidierten Lebensmittelproduktionswelt, bzw. umgekehrt. 

Pigpool:
 In der jüngsten Diskussion hört man immer wieder Schlagworte wie Zertifizierung, gläserne Produktion, offene Stalltür etc. Ist das ein Weg aus der Krise oder sogar der einzige Weg aus der Krise? 


Th. Blaha: Ich habe bei der Beantwortung der vorangegangenen Frage den "Fleischer im Ort, der seine Belieferer und seine Kunden persönlich kennt" benutzt, um zu illustrieren, wie Vertrauen in die Redlichkeit derer von denen wir etwas kaufen über lange Zeit funktioniert hat, nämlich so lange wie die Wege vom Urprodukt bis zum Endprodukt sehr kurz und durchschaubar waren. 

Im Laufe der Entwicklung sind diese Wege immer länger und vor allem immer undurchschaubarer geworden. Das trifft nicht nur für die Lebensmittelproduktion zu. Es gibt heute gar keine Chance mehr, dass wir diejenigen, die unsere Konsumgüter produzieren alle persönlich kennen können. Die so entstandene Anonymität schafft Misstrauen, das abgebaut werden muss. 

Alle anderen Wirtschaftszweige haben durch die Einführung von Qualitätssicherungssystemen (heute ist ISO 9000:2000 internationaler Standard) das allmählich verloren gegangene Vertrauen wieder hergestellt - würden wir sonst Autos oder Fahrräder kaufen und sofort mit ihnen losfahren ohne jede Schraube auf ihren festen Sitz zu überprüfen? Damit will ich sagen: dokumentiertes Qualitätsmanagement und Zertifizierung durch Dritte sind, wenn nicht der einzige, so doch der Königsweg aus der Krise. 

Pigpool:
 Zertifizierung im Schweinestall - was heißt das praktisch für den Schweinehalter? 


Th. Blaha: Ich sage es einmal ganz simpel und komprimiert: Handbücher mit exakter Beschreibung dessen, was im Bestand jeden Tag getan werden soll entwickeln; danach arbeiten; alles Getane dokumentieren; und Checklisten für die eigene Kontrolle der Einhaltung des Sich-Vorgenommenen (sogenannte interne Audits) und für die Zertifizierung (sogenannte externe Audits) entwickeln und alles das offenlegen. 


Es gibt keine Patentrezepte für das soeben Gesagte: jede Gruppe von Landwirten muss das für sich selber zusammen mit ihren Tierärzten, Beratern, Schlachthöfen und Endabnehmern planen, entwickeln und einführen. Einzelbetriebliche Aktionen zur Zertifizierung machen keinen Sinn, denn der Markt braucht kritische Massen von standardisiert hergestellten Rohprodukten. 

Pigpool: Welche weiteren Maßnahmen führen zu mehr Produktsicherheit? Müssen vor- und nachgelagerte Bereiche der Schweineproduktion nicht mit einbezogen werden? 

Th. Blaha: Die Einbeziehung der vor- und nachgelagerten Bereiche geschieht automatisch. Wer Qualitätssicherung anfängt, fängt bald an, an seine Zulieferer und Abnehmer Forderungen zu stellen, die seine Qualitätssicherung möglich macht und konsequent durch die nachfolgenden Produktionsstufen aufrechterhält. Tut er das nicht, sind seine Bemühungen schlichtweg umsonst. 

Pigpool: 
Welche Vorteile haben vertikale Ketten - hat dieses Modell in Deutschland ein Chance und ist es mit Mehrkosten verbunden? Wer könnte diese Mehrkosten finanzieren? 


Th. Blaha: Die vertikalen Ketten schaffen die Voraussetzung für Produkthaftung, Rückverfolgbarkeit, Partnerschaftsbeziehungen entlang der Lebensmittelproduktionskette mit wachsender Loyalität der Partner untereinander, Sicherheit der Abnahme des Produzierten und Vertrauen der Verbraucher in die so hergestellten Lebensmittel. Die Kosten sind lediglich Vorleistungen (also Investitionen), die am Anfang durch staatliche Unterstützung abgefangen werden könnten, aber später natürlich durch alle Partner der Lebensmittelkette getragen werden müssen - so wie wir heute auch keine Steuergelder mehr in die ISO 9000 Systeme der Autoindustrie investieren, nachdem sie sich dort bewährt haben. 

Pigpool: Herr Prof. Blaha, wir danken für dieses interessante und informative Gespräch! 

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