Neugestaltung des tierärztlichen Dispensierrechtes
oder
Mehr Aufzeichnung = mehr Sicherheit?
Dr. Hans Moser, Ansbach
Die Vorgänge rund um den Arzneimittelskandal haben zu einer intensiven Diskussion rund um das Dispensierrecht auf allen Ebenen geführt. Verschiedenste Interessengruppen haben ihre Standpunkte, bis hin zur Abschaffung des Dispensierrechtes, eingebracht. Nachfolgend die wichtigsten Änderungen, die derzeit diskutiert werden:
1) TÄHA (Tierärztliche Hausapotheke)
statt Anzeige zukünftig zeitlich befristete amtliche Anerkennung.
Bedingungen:
- Zuverlässigkeit und Sachkenntnis des Tierarztes
- Ausreichende Räumlichkeiten
- Einrichtung eines Qualitätssicherungssystems für TÄHA
- Widerruf ist möglich, wenn eine der Voraussetzungen nicht mehr erfüllt ist.
Das bedeutet, dass ein(e) solche(r) Kollege/in nur noch im Angestelltenverhältnis tätig werden kann.
Diskussionsbeitrag:
Durch diese Änderung würde eine Verbesserung in den Sanktionierungsmöglichkeiten geschaffen, da eine Aberkennung der TÄHA nicht mehr gleichbedeutend mit einem Berufsverbot ist. Eine Ausübung des Berufes als angestellter Tierarzt ist weiter möglich.
2) Qualitätssicherungssystem (QS/QM)
- Zertifizierung der TÄHA und Praxis
- Tierarzneimittelüberwachung intensiviert
- Hoftierarztprinzip; jeder Wechsel ist der Überwachungsbehörde anzuzeigen
Diskussionsbeitrag:
Hier ist zu klären wie und durch wen zu zertifizieren ist. Das gesamte System der ISO 9000ff in der privaten Wirtschaft ist rechtlich nicht verbindlich geregelt. Hoftierarztprinzip: Die Freiheit der Tierarztwahl ist rechtlich nur sehr schwer einzuschränken. Was, wenn (überspitzt ausgedrückt) jede Woche der Hoftierarzt gewechselt wird? – Ein irrsinniger Verwaltungsaufwand entsteht. Einen Sicherheitsgewinn kann ich nicht erkennen.
3) Herstellung durch Tierärzte
- Keine Herstellung unter Verwendung von apotheken- oder verschreibungspflichtigen Stoffen.
- Kein Bezug von Arzneimitzteln (AM) als Rohstoffe, nur als zugelassene Fertig-AM
- Verdünnen und/oder vermischen ist nicht erlaubt (evtl. Ausnahme für Heimtiere nach §60 AMG)
- Umfüllen und Abpacken nur zulässig unter genauer Beachtung der Kennzeichnungsvorschriften
Diskussionsbeitrag:
Herstellung: Dieser Teil des Dispensierrechtes ist ein alter Zopf, der wenn überhaupt, nur noch in einigen wenigen Ausnahmefällen von Bedeutung ist. Hierfür sollte man sich nicht alle Möglichkeiten verschließen. Eine Regelung, die eine Erlaubnis in begründeten Ausnahmefällen ermöglicht, wäre zu überlegen.
Rohstoffbezug: kein Einwand, hier wird nur Missbrauch betrieben.
Verdünnen, vermischen: ebenfalls kein Einwand; beim Mischen unterschiedlicher Stoffe und AM gibt es keinerlei Sicherheit bezüglich der Wechselwirkungen und deren Auswirkungen auf Aufnahme Wirksamkeit, Stoffwechsel, Ausscheidung und Rückstandsverhalten.
4) Fütterungsarzneimittel (FAM)
- Abschaffung der „Hofmischung“
- Abschaffung des Herstellungsauftrages
- Nur noch Verschreibung zur Abgabe durch einen pharmazeutischen Hersteller
- Tierarzt kann keine AM-Vormischung mehr beziehen.
- Einmischung mehrerer Vormischung nur unter strengen Vorbedingungen (evtl. nur vorher festgelegte Kombinationen möglich)
- Verabreichung von AM über das Futter weiter möglich, falls AM dafür zugelassen.
Diskussionsbeitrag:
Hofmischung: Kein Einwand; Die Homogenität der Mischung, die Verwendung der Vormischung und deren ordnungsgemäße Anwendung ist hier praktisch nicht überwachbar. Funde auf Betrieben haben belegt, dass diese Vormischung zweckentfremdet werden.
5) Abgabezeitraum:
- AM und FAM dürfen nur für einen Bedarf von max. 7 Tagen verschrieben oder abgegeben werden
- Keine Bevorratung beim Tierhalter („Stallapotheke“)
- Weitere Abgabe oder Verschreibung nur nach Kontrolle der Behandlung und erneuter Indikationsstellung spätestens nach 7 Tagen
- Keine Abgabe für noch nicht geborene Tiere
- Zusätzliche Kennzeichnung von Fertig-AM auf dem Behältnis:
Name und Anschrift des abgebenden TA Datum der Abgabe
Diskussionsbeitrag:
7-Tage-Frist: Ist bei Verschreibung eines FAM nicht zu realisieren, da Behandlungsdauer, Mindestfuttermenge pro Misch-Charge und Silokapazitäten mit hineinspielen.
Bei AM und falls weiter möglich, was wohl nicht anders geht, auch bei Impfstoffen nicht praktikabel. Impfregime können dann nicht mehr realisiert werden. Wöchentliche Zwangsbesuche bringen kein mehr an Sicherheit, wenn deren Sinn von beiden Seiten (Landwirt und Tierarzt) nicht nachvollziehbar ist. Dann wird es zu einer reinen Alibi-Handlung.
Zusätzliche Kennzeichnung: Wie soll Fälschungssicherheit gewährleistet werden? Der Aufkleber hat keinerlei Beweiskraft!
6) Umwidmung
- nur bei echtem Therapienotstand;
- Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren nur durch den TA selbst
Diskussionsbeitrag:
Dies würde zu einer wesentlichen Verbesserung der Sicherheit auf Seiten der Tierärzteschaft führen, wenn von einer Kommission verbindliche Kriterien festgelegt und laufend aktualisiert würden.
7) Anwendung von AM nach dem Verfallsdatum verboten
Diskussionsbeitrag:
Kein Diskussionsbedarf, es gibt kein stichhaltiges Argument dagegen.
8) Abschaffung der Ausnahmeregelung für die Abgabe von Impfstoffen an den Tierhalter,
d.h. Impfstoffe dürfen nur durch den Tierarzt angewendet werden.
Diskussionsbeitrag:
Wirkt man dadurch nicht dem erwünschten Vorbeugeprinzip entgegen? Würde diese Regelung nicht dazu führen, dass der Landwirt die Impfungen aus Kostengründen auf ein absolutes Minimum zurückfährt und der Einsatz von wöchentlich gelieferten AM deutlich ansteigt?
9) Einrichtung eines Sachverständigen-Ausschusses
Beschließt Regeln für die für die Anwendung von AM (z.B.: Fortschreibung der Antibiotika-Leitlinien, Erstellung einer Liste von Indikationen mit „Therapienotstand“, Aufstellung einer Liste von in FAM kombinierbaren Stoffen)
Diskussionsbeitrag:
Eine zu begrüßende Einrichtung. Sie kann sehr viel Verunsicherung aus der Thematik nehmen.
Überlegungen zum Gesamtkonzept:
Bringt mehr Papier (Aufzeichnungen von Landwirt und Tierarzt) wirklich ein mehr an Sicherheit, oder schaffen sie nur eine schönes Gebilde aus Pappmaschee, das schnell zusammenfällt, wenn dann mal nachgebohrt wird?
Ich meine die Wurzeln des Übels müssen noch genauer erforscht und dann angegangen werden.
Eine Wurzel ist meines Erachtens die mangelhafte Anerkennung und Honorierung der tierärztlichen Leistung Beratung und Betreuung.
Die Anforderungen an die tierärztliche Betreuung von Nutztierbeständen hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark gewandelt. Der Druck sich den Entwicklungen zu stellen und darauf zu reagieren wurde mit fortschreitendem Wandel der Strukturen in der Landwirtschaft immer größer und nimmt immer noch zu. Die Nachfrage nach Therapie von Einzeltieren oder Tiergruppen (=„Reparaturprinzip“) wird mehr und mehr abgelöst durch die Forderung nach kompetenter Betreuung von Betrieben mit regelmäßigen, umfassenden Checks der Bestände (=„Wartungsprinzip“).
Dieser Umschwung hin zum Wartungsprinzip vollzieht sich jedoch nur sehr langsam und inkonsequent, sowohl von Seiten der Landwirtschaft als auch von Seiten der Tierärzteschaft.
Die Landwirtschaft:
Der Strukturwandel in der landwirtschaftlichen Tierhaltung hat sich in den vergangenen 20 Jahren rapide beschleunigt. Ein Umschwenken dieses Trends ist, trotz aller Mahnungen gerade auch in letzter Zeit, noch nicht absehbar. Ein Zurück in die Zeiten vor 20 oder 30 Jahren wird es nicht geben.
Zunehmende Bestandsgrößen und immer schmäler werdende Gewinnspannen (Preise wie vor 20 Jahren oder noch darunter) zwingen die Landwirtschaft zu Kosteneinsparungen auf allen Ebenen. Dass in der Anwendung des „Wartungsprinzips“ in ihren Tierbeständen ein gehöriges Einsparpotential steckt, ist den wenigsten bekannt.
Zwar gehören prophylaktische Impfprogramme und Einstallprophylaxe in größeren Beständen immer mehr zum normalen Betriebsmanagement, jedoch ist das nur ein Baustein eines umfassenden „Betriebswartungssystems“.
Immer öfter kommen aber auch Wünsche von dieser Seite ohne auf kompetente Anbieter zu stoßen.
Sehr gering ist in der Landwirtschaft jedoch noch die Bereitschaft diese Dienstleistung angemessen zu honorieren. Manuelle Tätigkeiten, auch im eigenen Bereich, werden weit höher eingeschätzt, als geistige und Schreibtischarbeit. Dabei ist gut praktiziertes und organisiertes Betriebsmanagement mindestens genau so wichtig und gewinnbringend wie gute Stallarbeit; wenn nicht sogar einträglicher.
Die Tierärzteschaft:
Die praktizierende Tierärzteschaft ist weitestgehend noch in den Regeln der „Reparaturmedizin“ ausgebildet worden. Einzelkämpfer-Dasein, Arbeitsüberlastung, mangelnde Einsicht, etc. lassen ein Umdenken und Umlernen nur langsam voran kommen. Hemmend wirkt zusätzlich natürlich die traditionell geringe Bereitschaft der Landwirtschaft geistige Leistungen zu honorieren: „Da sieht man ja nichts!“
Viele Tierärzte sind daher auf die Arzneimittelpreise ausgewichen, um ihre „Beratungsleistung“ honoriert zu bekommen. Diese Entwicklung führte im Laufe der Zeit dazu, dass in einigen Fällen die Beratung auf das absolute Minimum oder sogar noch darunter reduziert wurde.
Versäumt wurde lange dem Kunden Landwirt die Leistung „BERATUNG“ als solche in einem Gesamtpaket anzubieten.
Begründet mag dies unter anderem sein,
- In einem selbst auferlegten, oder vielleicht auch nur missverstandenem Wettbewerbsverbot.Verbietet es das Werbeverbot für Heilberufe wirklich seine Klientel über die Vorteile eines abgerundeten, auf den Betrieb zugeschnittenen „Bertreuungspaketes“ und die damit verbundenen Vorteile und Kosten zu beraten?
- In der mangelnden Kenntnis über die Struktur solcher Herdenbetreuungsprogramme und der nicht ausreichenden Kenntnisse über Teilbereiche wie Betriebsabläufe, Fütterung, Futterbeurteilung, Rationsberechnung u. dgl.
- Noch zu geringem Leidensdruck?
Fazit und Ausblick
Das landwirtschaftliche Anforderungsprofil an die tierärztliche Leistung und die tierärztliche Angebotspalette haben sich immer mehr auseinander entwickelt, ohne dass dies den Beteiligten beider Seiten ausreichend bewusst geworden ist. Die Kluft wurde in mehr oder weniger großem Ausmaß durch den Verkauf von Arzneimitteln zu kitten versucht. Der „Straubinger Arzneimittelskandal“ wirft darauf ein grelles Schlaglicht.
Um Abhilfe zu schaffen muss ein Bewusstseinswandel auf beiden Seiten bewirkt werden. Auf Seiten der Landwirtschaft muss die Bereitschaft zur Anerkennung und Honorierung von Beratungsleistung gesteigert werden. Traditionell war -und ist auch heute noch- staatliche Beratung kostenlos, das heißt staatlich gefördert. Hier muss Chancengleichheit geschaffen werden. Wenn auch staatliche landwirtschaftliche Beratung in irgend einer Form honoriert werden müsste, würde echter Wettbewerb möglich.
Der Landwirt ist bereit zu bezahlen, wenn Handwerk ausgeübt wird: Kaiserschnitt, Torsio aufdrehen, Geburtshilfe etc. Das alles sind Tätigkeiten, die auf der Rechnung auftauchen dürfen. Arbeit, die im Kopf oder am Schreibtisch abläuft wird von ihm gering geachtet, egal ob seine eigene oder die von anderen. Ihm selbst ist sie meist lästig, obwohl sie erheblich zu seinem Einkommen beiträgt. Dementsprechend gering ist seine Bereitschaft andere für solche Arbeit zu bezahlen.
Hier ist für die landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten und Berufsverbände ein weites Betätigungsfeld, das intensiv beackert werden muss.
Aber auch in der Tierärzteschaft ist die Wertung der eigenen geistigen Arbeit unterentwickelt: „Wer den Kaiserschnitt perfekt beherrscht, ist der 1A Praktiker!“ Praxismanagement, Umgang mit Kunden, Konzepterstellung für Bestandsbetreuung ..., das sind Kriterien, die meist auf den hinteren Rängen der Wichtigkeitsskala angesiedelt sind.
In der Reform der tierärztlichen Ausbildung wurden erste Schritte in Richtung Verbesserung unternommen. In den Fortbildungsveranstaltungen tauchen Themen wie eben aufgeführt zaghaft auf. Viel häufiger übrigens finden sie sich bei Tierarzthelferinnen –Fortbildungen. Haben es die Chefs nicht so nötig!? ;-)
Die Sensibilität für diese Themen in der Tierärzteschaft muss noch geschärft werden. Einige, noch viel zu wenige, haben die Zeichen der Zeit erkannt und mühen sich ab.
Schnellere Erfolge kann es jedoch nur geben, wenn beide Seiten, Landwirtschaft und Tierärzteschaft gemeinsam und koordiniert in diese Richtung aktiv werden und sich um den Bewusstseinswandel bemühen.
Das Wunschziel:
Der Tierarzt sollte sich messen am möglichst geringen Therapieaufwand pro Großvieheinheit und Betrieb.
Der Landwirt sollte sich messen am Arzneimitteleinsatz zur Therapie: je weniger, umso besser die Betreuungsleistung in seinem Bestand und sein Management.
Ich bin überzeugt, damit könnte Beratung und Betreuung für beide Seiten gewinnbringend bezahlt werden und der Anreiz für Missbrauch im Arzneimittelrecht wäre beseitigt.
Ich weiß, ein Patentrezept für eine schnelle, heile Welt ist das nicht. Doch ein solches, fürchte ich, wird es nicht geben.
Soweit, geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine ganz persönliche Meinung. Ich lasse mich gerne durch konstruktive Kritik belehren und bekehren. Gewiss gibt es Aspekte, die mir nicht bekannt oder entgangen sind und daher hier nicht berücksichtigt wurden.
Derzeit habe ich jedoch den Eindruck das Thema wird zu sehr unter dem alleinigen Aspekt der Angst vor dem Verlust des Dispensierrechtes diskutiert und die tiefer liegenden Ursachen, rechtliche Grundsätze, Praktikabilität und Überwachbarkeit stehen zu sehr im Hintergrund.
Dauerhafte Lösungen wird es nur geben, wenn versucht wird die Ursachen für die Fehlentwicklung zu erkennen und anzugehen, anstatt nur an den Symptomen herum zu kurieren.
Dazu möge dieser Artikel ein kleiner Beitrag sein.
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