Neue Tierimpfstoff- Verordnung, das nächste faule Ei?
Dr. Reinhold Heggemann, Tellingstedt
Nachdem das sogenannte Tierarzneimittelneuordnungsgesetz am 1.11.2002 offiziell als 11. Novelle des Arzneimittelgesetzes in Kraft getreten ist, beschäftigt sich das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, die Veterinärverwaltung, die Standesvertretung der Tierärzteschaft (BpT und BTK) und Interessengruppen der Pharmaindustrie (BfT) und Landwirtschaft (ZDS) bereits mit dem nächsten Thema, welches einschneidende Veränderungen und weitere Einschränkungen für die Nutztierpraxis und Landwirtschaft zur Folge haben kann.
Die Rede ist von der sogenannten Tierimpfstoff-Verordnung (TIVO) und hier insbesondere der § 34 Absatz 2, der als Ausnahmeregelung im Einzelfall eine Abgabe von Impfstoffen an Landwirte erlauben kann, sofern Belange der Tierseuchenbekämpfung nicht berührt sind.
In den letzten Jahren hat sich insbesondere in der "Schweinepraxis"- mit unterschiedlicher Ausprägung in den einzelnen Bundesländern bzw. Regierungsbezirken- eine umfangreiche Genehmigungspraxis dieser Anträge dahin gehend etabliert, dass Anträge auf Impfstoffabgabe in aller Regel genehmigt werden (müssen). Diese Genehmigungen werden aber dann teilweise mit berechtigten, aber auch unsinnigen Nebenbestimmungen bzw. Auflagen versehen.
Während die derzeit gültige Fassung des § 34 der Tierimpfstoff-Verordnung lediglich zwei Absätze umfasst, soll die mögliche zukünftige Version, die derzeit als Diskussionspapier vorliegt, ganze neun(!) Absätze aufweisen. Interessant ist dabei, dass in erster Linie die bisher oft unsinnigen Auflagen hier anscheinend "festzementiert" werden sollen. Obwohl im Bundesministerium die geplante Neufassug der TIVO nicht allerhöchste Dringlichkeit hat, soll dieser Artikel mit dazu beitragen, das Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und als Diskussionsbeitrag dienen. Bevor auf die einzelnen Punkte aus der Sicht eines sogenannten Schweinepraktikers näher eingegangen wird, wird zunächst der Text der aktuell gültigen Version und des Änderungsvorschlages zum §34 vorgestellt (in Kursivschrift):
Text der aktuell gültigen VO:
§ 34 Anwendung von Mitteln
(1) Mittel dürfen bei Tieren nur von Tierärzten angewendet werden. Die zuständige Behörde kann auf Antrag eines Tierarztes im Einzelfall Ausnahmen zulassen, sofern Belange der Seuchenbekämpfung nicht entgegenstehen, insbesondere eine Verbreitung von Erregern übertragbarer Tierkrankheiten nicht zu befürchten ist.
(2) Tierhalter und andere Personen, die nicht Tierärzte sind, dürfen Mittel bei Tieren nur entsprechend einer tierärztlichen Behandlungsanweisung für den betreffenden Fall anwenden.
Änderungsvorschlag (Diskussionsstand)
§ 34 wird wie folgt gefasst:
§ 34
(1) Mittel dürfen bei Tieren nur von Tierärzten angewendet werden. Die zuständige Behörde kann auf Antrag eines Tierarztes für die Anwendung von Mitteln bei Geflügel, Fischen nicht Schweinen [Pelztieren, Rindern??] [sofern Belange der Seuchenbekämpfung nicht entgegenstehen, insbesondere eine Verbreitung von Erregern übertragbarer Krankheiten nicht zu befürchten ist,] Ausnahmen von Satz 1 zulassen, sofern der Antrag stellende Tierarzt
oder dessen tierärztlicher Praxis - bei Schweinen gemäß § 7 der Schweinehygieneverordnung betreut wird;
(2) Vor der Abgabe des Impfstoffes [Mittels] durch den Tierarzt an den Tierhalter oder eine von diesem mit der Impfung beauftragte Person ist von dem Tierarzt die Impffähigkeit der Tiere zu beurteilen. Die Abgabe des Impfstoffes für den Bestand darf sich nur auf die Menge erstrecken, die jeweils nach Feststellung der Impffähigkeit der Tiere im Bestand benötigt wird. Die Anwendung Der Einsatz der Impfstoffe hat unverzüglich nach der Abgabe an den Tierhalter zu erfolgen. Ein Vorrätighalten der Impfstoffe durch den Tierhalter ist nicht zulässig.
(3) Nach der Impfung ist der Bestand von dem Tierarzt selbst, dem die Ausnahmegenehmigung erteilt worden ist, oder einem tierärztlichen Mitarbeiter zu dem im Impfplan festgelegten Zeitpunkt zu kontrollieren. Die Kontrolle besteht in einer klinischen Bestanduntersuchung auf Impfreaktionen sowie einer Kontrolle des Impferfolges mittels serologischer Untersuchungen.
(4) Der Tierarzt und der Tierhalter oder die vom Tierhalter mit der Impfung beauftragte Person führen gemeinsam ein Impfkontrollbuch, aus dem mindestens hervorgehen muss,
Die Eintragungen in dem Impfkontrollbuch sind unverzüglich nach der Impfung durchzuführen. Das Impfkontrollbuch ist mindestens drei Jahre aufzubewahren und auf Verlangen der zuständigen Behörde
jeweils mit Unterschrift des Tierarztes.sowie, im Fall von Schweinen, dem mit der amtlichen Überwachung des Betriebes gemäß § 10 der Schweinehaltungshygieneverordnung beauftragten beamteten Tierarzt zur Einsichtnahme vorzulegen. Die Aufzeichnungen können auch mittels elektronischer Datenverarbeitung erfolgen, sofern jederzeit der Ausdruck der gespeicherten Daten gewährleistet ist; für diesen Fall hat der Tierarzt die Angaben auf der Grundlage zum Monatsende angefertigter Ausdrucke zu prüfen und deren Richtigkeit mit Datum und Unterschrift zu bestätigen. Das Impfkontrollbuch ersetzt nicht die Abgabebelege gemäß § 13 Abs. 2 TÄHAV.
(5) Die Gültigkeitsdauer der Ausnahme nach Absatz 1 ist auf ein Jahr zu befristen; sie kann auf Antrag des Tierarztes jeweils um höchstens [zwei) ein Jahre verlängert werden.
(6) Ausnahmen nach Absatz 1 Satz 2 dürfen nicht zugelassen werden für
(7) die zuständige Behörde kann die Anzahl der einem Tierarzt nach Absatz 1, Satz 2 erteilten Genehmigungen in Abhängigkeit von der Größe zu betreuender Tierbestände und deren Entfernung zum Praxisort begrenzen. Sie kann für die Abgabe von neuzugelassenen Impfstoffen [Mitteln) durch den Tierarzt an den Tierhalter oder eine von diesem mit der Impfung beauftragten Person mindestens zwölf Monate nach der Zulassung die Anwesenheit des Antrag stellenden Tierarztes bei der Impfung vorschreiben.
(7) Die Genehmigung nach Absatz 1, Satz 2 ist zu versagen, wenn
(9) Die Genehmigung nach Absatz 1 Satz 2 ist zurückzunehmen, wenn nachträglich bekannt wird, dass einer der Versagungsgründe nach Absatz 8 bei der Erteilung vorgelegen hat; sie ist zu widerrufen, wenn einer der Versagungsgründe nachträglich eingetreten ist. Die Genehmigung kann widerrufen werden, wenn der Tierarzt, der Tierhalter oder die vom Tierhalter mit der Impfung beauftragte Person einer Regelung nach den Absätzen zwei bis vier zuwider gehandelt haben und wenn Belange der Seuchenbekämpfung entgegenstehen.
Zunächst einige wichtige Anmerkungen genereller Art zu der Tierimpfstoff-Verordnung (TIVO), welche die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers beleuchten sollen.
Die sogenannte TIVO heißt im vollständigen Text "Verordnung über Sera, Impfstoffe und Antigene nach dem Tierseuchengesetz" und ist am 2.1.1978 in Kraft getreten. Hieraus wird deutlich, dass die TIVO direkten Bezug auf das Tierseuchengesetz nimmt. Dies wird untermauert, wenn man im §1 (Begriffsbestimmung) der TIVO die Definition des Begriffes "Mittel" nachliest. Hiernach sind Mittel: "Sera, Impfstoffe oder Antigene, die unter Verwendung von Krankheitserregern oder auf biotechnischem Wege hergestellt werden und zur Verhütung, Erkennung oder Heilung von Tierseuchen bestimmt sind". Weiterhin ist die TIVO auch in den „Arzneimittelrechtlichen Vorschriften für Tierärzte“ (Zrenner/Painter) systematisch zwischen Tierseuchengesetz und Verordnung über anzeigepflichtige Tierseuchen angesiedelt.
Klar ist, dass der Gesetzgeber 1978 in keinster Weise an Mittel gedacht hat, die nicht der Tierseuchenbekämpfung dienen, wie z.B. Impfstoffe gegen Rotlauf, Influenza, Mycoplasmen, Parvovirose, PRRS etc. Impfstoffe wurden zu der Zeit in der Nutztierpraxis praktisch fast ausschließlich zur Tierseuchenbekämpfung eingesetzt und die Bestandsgrößen waren 1978 auch unbestritten andere als heute.
Die Ausnahmemöglichkeit gemäß § 34, Abs. 2 wurde vom Gesetztgeber ganz bewußt unter der Maßgabe vorgesehen, dass im Falle eines Seuchenausbruches auch Nichttierärzte, also z.B. Landwirte Impfstoffe unter tierärztlicher Aufsicht anwenden dürfen, um eine möglichst schnelle flächendeckende Impfung durchführen zu können.
Anstatt diesen historischen Ansatz zu würdigen und der Entwicklung in Landwirtschaft und Veterinärmedizin bei einer Überarbeitung der TIVO Rechnung zu tragen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es bei dem Änderungsvorschlag bis jetzt lediglich darum ging, Beschränkungen und Hemmnisse zu formulieren, um eine Ausnahmegenehmigung möglichst unattraktiv erscheinen zu lassen bzw. mit so vielen Auflagen zu belegen, dass eine legale tierärztliche Tätigkeit nahezu unmöglich gemacht wird. Dieses ist vor dem Hintergrund rechtlicher, aber auch insbesondere fachlicher Aspekte unverständlich bis absurd!
Zu dem vorliegenden Änderungsvorschlag im Einzelnen:
Zu Absatz (1): Tierarten, Begründung der Notwendigkeit
Hier wird der Versuch unternommen, von vorn herein Einschränkungen zu formulieren, indem verschiedene Tierarten benannt werden, für die per se überhaupt eine Ausnahmegenehmigung möglich sein soll; nämlich Geflügel, Fische, Schweine und mit Fragezeichen versehen noch Pelztiere sowie Rinder, Schafe kommen überhaupt nicht vor. Warum wird nicht die generelle Ausgangssituation formuliert, dass Ausnahmen zugelassen werden können, wenn der Tierarzt einen solchen Antrag stellt? Hierbei müsste die Priorität der genehmigenden Behörden zunächst die Genehmigungserteilung sein und nicht wie bisher in einigen Bundesländern üblich die Genehmigungsverhinderung. Dieser Grundansatz wird im übrigen auch durch gültige, verwaltungsrechtliche Rechtssprechung gefordert, wenn in einer Urteilsbegründung des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (AZ. 1 A 131 / 92) nachzulesen ist: "Somit ist der Beklagte (genehmigende Behörde) vorliegend verpflichtet, eine Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zu treffen. Dabei ist sein Entschließungsermessen hinsichtlich des "Ob" der Ausnahmegenehmigungserteilung auf Null dahingehend reduziert, die begehrte Genehmigung zu erteilen. Allein eine solche Genehmigungserteilung erscheint ermessensfehlerfrei, weil keine öffentlichen Belange ersichtlich sind, die dieser Genehmigungserteilung entgegenstehen, so daß die privaten Interessen des Klägers (Tierarzt) an Genehmigungserteilung zwangsläufig überwiegen müssen."
Der Hoftierarzt und nur dieser sollte im Grunde entscheiden, ob und in welchem Bestand er Impfstoffe abgeben will, die- noch einmal betont- nicht der Tierseuchenbekämpfung dienen!
Wesentlich praktikabler wäre außerdem, wenn nicht wie unter Pkt. 2.a) gefordert, der jeweilige Impfstoff benannt werden müsste, sondern die Genehmigung für eine Indikation beantragt würde, wie z.B. „Impfung gegen E.coli“ oder „Impfung gegen Mycoplasma hyopneumoniae“. Diese Anregung kommt aus praktischen Erfahrungen heraus. Da das PEI (Paul Ehrlich Institut) seit einiger Zeit jede Charge eines Impfstoffes vor Auslieferung an die Tierärzte prüft, kam es in der Vergangenheit und aktuell immer wieder bei einzelnen Produkten zu zeitlich befristeten Lieferengpässen von bis zu drei Monaten! Man hat die Wahl, die Impfung einzustellen (was keinen Sinn macht) oder soweit möglich ein vergleichbares Alternativpräparat abzugeben (was illegal ist) oder einen neuen Antrag zu stellen (was unpraktikabel ist), der dann auch noch bei Wiederverfügbarkeit des ursprünglichen Impfstoffes zu revidieren wäre (noch unpraktikabler). Nach Erklärung der Situation mit den genehmigenden Behörden ist es uns in Schleswig-Holstein gelungen, ausschließlich Abgabegenehmigungen zu bekommen, in denen Indikationen benannt sind und nicht mehr Handelsnamen von Impfstoffen. Die gleiche Verfahrensweise wird auch in Hessen von der überwiegenden Mehrzahl der Veterinärämter praktiziert. Erstaunlicherweise ist es in diesen Regionen zu keinerlei immunologischen Schreckens-Szenarien gekommen!!!!! Im übrigen wird der tatsächlich eingesetzte Impfstoff im Impfkontrollbuch eingetragen und ist damit der behördlichen Kontrolle zugänglich.
Es bleibt unverständlich, warum einer Behörde gegenüber die "Notwendigkeit der Impfung durch den Tierhalter" begründet werden soll. Die Notwendigkeit ergibt sich einfach aus der Vielzahl der Impfungen, die in aller Regel in betriebsspezifische Abläufe einzubinden sind und zu bestimmten Zeitpunkten notwendig werden.
Verborgen bleibt ebenfalls die Sinnhaftigkeit die "Anzahl der Tiere der in Frage kommenden Tierart des Bestandes zum Zeitpunkt der Antragstellung" im geforderten Impfplan angeben zu müssen. Was ist zu tun, wenn sich diese Zahl (die ja biologischen Schwankungen unterliegt) ändert? Reicht eine Nachmeldung oder muß ein neuer Antrag gestellt werden? Welche Abweichung von der gemeldeten Zahl wird noch toleriert? Dagegen sind die geforderten Anwendungshinweise an den Tierhalter sicherlich sinnvoll. Unklar ist, welchen Zweck diese in dem Antrag an die Behörde erfüllen sollen?
Zu Absatz (2): Impffähigkeit der Tiere
Laut Entwurf hat die Anwendung der Impfstoffe unverzüglich nach Abgabe an den Tierhalter zu erfolgen. Hier wäre von Interesse, wie der Begriff "unverzüglich" zu interpretieren ist. In juristischem Sinne wird "unverzüglich" mit der Formulierung umschrieben: "Unter Hintenanstellung aller anderen privaten und beruflichen Dinge", was auf gut deutsch "sofort" bedeutet. Dies würde aber den Sinn und Zweck der Ausnahmegenehmigung geradezu ad absurdum führen, soll doch gerade ein flexiblerer Einsatz von Impfstoffen erreicht werden. Das schon erwähnte Verwaltungsgerichtsurteil von 1992 führt dazu unter anderem aus: "Darüber hinaus könnten (laut Behörde) die Routineimpfungen nicht in den Betriebsablauf integriert werden, sondern müssten jeweils ausgeführt werden, sobald der Kläger (=Tierarzt) im Bestand wäre. Hinsichtlich der mangelndem Praktikabilät sämtlicher Impfstoffverabreichungen durch den Kläger macht der Beklagte (= Behörde) ohne Erfolg geltend, dieser müsse den Bestand sowieso auf den Impferfolg untersuchen und Kontrolluntersuchungen durchführen. Die Aufrechterhaltung des vorhandenen Immunstatus in dem Betrieb ist mit vertretbarem Aufwand nur möglich, wenn die Routineimpfungen während des normalen Betriebsablaufs durchgeführt werden können." Und weiter: “Nach der Begründung zur Änderung der Tierimpfstoffverordnung 1984 (Bundesratsdrucksache 29/84) soll aber für die ausnahmsweise Genehmigung der Impfstoffanwendung durch den Tierhalter gerade maßgebend sein, ob die Applikation der Mittel durch einen Tierarzt praktikabel ist, sofern Belange der Seuchenbekämpfung nicht entgegenstehen.“
Da modern geführte Schweinebetriebe nach einer festgelegten, detaillierten Arbeitsorganisation wirtschaften, käme es zwangsläufig an Donnerstagen zum Chaos; weil dann in aller Regel die säugenden Sauen abgesetzt und die Mehrzahl aller abgesetzen Ferkel z.B. gegen Mycoplasmen geimpft werden (In Deutschland ca. 70% der produzierten Ferkel!). Diese Arbeitsspitzen sind nun mal vorhanden und selbst nur die "unverzügliche" Kontrolle auf Impffähigkeit vor der Impfung kann nicht überall zeitgleich erfolgen; von der selbst durchzuführenden Impfung ganz zu schweigen! Dies gilt für sog. Schweinepraxen und Gemischtpraxen gleichermaßen! Im Absatz (8) wird die Erteilung der Genehmigung u.a. von der Sachkunde des Tierhalters abhängig gemacht. Bei der Beurteilung seiner eigenen Tiere auf Impffähigkeit wird ihm diese Sachkunde seitens der Behörden abgesprochen. Wie merkt der arme, nicht sachkundige Tierhalter eigentlich, wann er den Tierarzt wegen kranker Tiere anrufen muss?!
Zu Absatz (3): Kontrolle der ImpfungLaut Änderungsvorschlag darf nur der Tierarzt, dem die Genehmigung erteilt worden ist, die Kontrolluntersuchungen durchführen. Der Passus "oder einem tierärztlichen Mitarbeiter", der im ersten Entwurf noch enthalten war, wurde gestrichen. Sollte dieser Vorschlag tatsächlich so in die neue TIVO übernommen werden, könnte dies nur als Ohrfeige gegen den tierärztlichen Berufsstand verstanden werden. Tierärztliche Mitarbeiter haben die gleiche Berufsausbildung wie der antragstellende Tierarzt (i.d.R.=Praxisinhaber) durchlaufen und somit per se die gleiche Qualifikation. Mit welcher plausiblen Begründung ist die Impfkontrolle ausschließlich vom antragstellenden Tierarzt durchzuführen? Was soll der Landwirt tun, wenn "sein Tierarzt" krank oder in Urlaub ist? Muss die Impfung dann ausgesetzt werden? Was ist die Qualifikation, auch und gerade der tierärztlichen Mitarbeiter gem. § 7, Schweinehaltungshygiene Verordnung denn wert, wenn hier unterschieden wird nach antragstellendem Tierarzt und tierärztlichen Mitarbeitern? Der Tierhalter hingegen darf nach Genehmigung entweder selber impfen oder die Impfung an andere Personen delegieren (siehe Absatz 4).
Die Kontrolle des Impferfolges mittels serologischer Untersuchungen (Antikörpernachweis aus dem Serum einer Blutprobe) zu fordern, ist fachlich mehr als äußerst fragwürdig. Erstens gibt es neben den serologischen Antikörpern die zellvermittelte Immunantwort, die in aller Regel die wesentlich wichtigere ist in Bezug auf eine belastbare Immunität. Zweitens lassen Antikörpertiter in aller Regel keine Entscheidung zu, ob diese von der Impfung oder vom Felderreger stammen. Wer legt drittens die Grenzwerte (für jeden einzelnen Impfstoff) fest, ab wann ein Antikörpertiter als ausreichend anzusehen ist? Viertens induzieren viele Impfstoffe nur eine marginale serologisch nachweisbare Reaktion. Wer kontrolliert fünftens diese serologischen Ergebnisse und mit welchen Schlußfolgerungen? Noch einmal zur Erinnerung: Wir reden immer noch über Impfstoffe, die nicht der Tierseuchenbekämpfung dienen. Insofern wäre interessant, wo hier überhaupt ein öffentliches (gesetzgeberisches) Interesse begründet liegt! Verbraucherschutz? Wir reden über Mittel, die in aller Regel 0 (in Worten: Null) Tage Wartezeit haben und a priori geeignet sind, den Antibiotikaeinsatz z.T. drastisch zu verringern!
Zu Absatz (4): Impfkontrollbuch
Hier wird unter anderem ausgeführt: "Die Eintragungen in dem Impfkontrollbuch sind unverzüglich nach der Impfung durchzuführen." Die Problematik der Definition des Begriffes "unverzüglich" wurde bereits weiter oben abgehandelt. Nach der Impfung könnten generell ja nur etwaige Unverträglichkeiten wie Schockreaktionen, Impfabszesse eingetragen werden. Außer anaphylaktischen Schockreaktionen (sehr selten) kann aber in praxi "unverzüglich" gar nichts eingetragen werden! Die anderen geforderten Eintragungen wie Impfstoff, Hersteller, Charge etc. werden in aller Regel bei der Impfstoffabgabe und vor der Impfung in das Impfkontrollbuch eingetragen.
Zu Absatz (5): Befristung der Genehmigung
Laut Änderungsvorschlag soll die Ausnahmegenehmigung bindend auf ein Jahr befristet werden. Um den verwaltungstechnischen und finanziellen Aufwand zu verringern wäre mindestens eine Gültigkeitsdauer von 2 Jahren zu fordern. Dies wird seit Jahren von vielen Behörden so praktiziert und hat sich durchaus bewährt!
Zu Absatz (6): Abgabeeinschränkungen
Hier findet man zum Einen wieder die unverständliche Unterscheidung nach Tierarten und zum Anderen die Differenzierung nach Lebend- und Totimpfstoffen. Lebendimpfstoffe sollen zwar bei Geflügel und Fischen abgegeben werden dürfen, nicht aber bei anderen Tierarten. Der Sinn dieser Unterscheidung ist aus fachlicher Sicht nicht nachzuvollziehen, sind Geflügel und Fische doch ebenso Lebensmittel liefernde Tiere wie Schweine. Sowohl Lebend- wie Totimpfstoffe durchlaufen das gleiche Zulassungsverfahren; inwieweit sich daraus eine unterschiedliche Sichtweise ableitet, ist so nicht nachvollziehbar. Das Gleiche gilt für die vorgesehene Nichtabgabe von stallspezifischen Impfstoffen, sofern sie denn lege artis von einem zugelassenen Labor hergestellt worden sind.
Zu Absatz (7): Genehmigungen pro Praxis; neue Impfstoffe
Die zuständige Behörde soll die Möglichkeit erhalten, die Anzahl der Genehmigungen pro Praxis nach Größe der betreuten Bestände und deren Entfernung zum Praxisort zu beschränken! Inwieweit das noch mit dem im Grundgesetz, Art. 12, Abs.1 verankertem Recht der freien Berufsausübung vereinbar ist, bedarf möglicherweise der juristischen Klärung. Welche Umstände bestimmen, wieviel Genehmigungen eine Praxis haben darf? Die gewählte Wortwahl in dem Entwurf lässt befürchten, dass hier der Willkür, ob eine Genehmigung erteilt wird oder nicht, zukünftig Tür und Tor geöffnet ist. Wie bereits in Mecklenburg-Vorpommern praktiziert, wurde die Anzahl der Genehmigungen auf zehn (!) pro Praxis ohne Einbeziehung eventueller tierärztlicher Mitarbeiter beschränkt(da ja ausschließlich der „Praxisinhaber“ abgeben und kontrollieren darf). Dies kann nur als massivster Eingriff in die Ausübung des tierärztlichen Berufes gewertet werden. Die Planung der Praxisorganisation und des erforderlichen Personaleinsatzes sollte immer noch dem Praxisinhaber vorbehalten bleiben! Im Übrigen hat nicht nur der Tierarzt ein Recht auf freie Berufsausübung, sondern auch der Landwirt ebenso ein Recht auf freie Tierarztwahl!
Im zweiten Satz, Absatz (7) kann die Anwesenheit des Tierarztes bei der Impfung vorgeschrieben werden, wenn der Impfstoff noch nicht länger als 12 Monate zugelassen ist. Hier fragt man sich, warum Impfstoffe noch exorbitant teure Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, wenn sie dann doch anschließend so behandelt werden, als seien sie tickende Zeitbomben, die es in den ersten 12 Monaten streng zu bewachen gilt.
Zu Absatz (8): Zuverlässigkeit, Sachkunde
Wenn schon auf Begriffe wie "Zuverlässigkeit" und "Sachkunde" abgezielt wird, so ist hier eine ganz klare, unzweifelhafte Definition dieser beiden Begriffe zu fordern. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Diskussionen im Vorfeld zur 11. Novelle der Tierarzneimittelgesetzes. Hier wurde der Begriff "Zuverlässigkeit" zunächst auch mit Delikten gegen Steuergesetzgebung und Eigentumsdelikten in Verbindung gebracht. Eine Tatsache, die letztendlich so nicht in die endgültige Fassung Eingang gefunden hat, aber doch zeitweise auf erschreckende Weise zeigt, wessen Geistes Kinder manchmal am Werk sind. Ist man eigentlich noch zuverlässig, wenn man mehr als 4 Punkte in Flensburg hat? Die vom Landwirt geforderte Sachkunde ist zu begrüßen, wird aber nicht näher konkretisiert. Interessant wäre auch, wie die genehmigende Behörde Versagungsgründe hinsichtlich des Landwirtes überprüfen will.
Fazit:
Der zur Zeit vorliegende Änderungsvorschlag scheint an vielen Punkten mehr als verbesserungsfähig und - würdig. Es wäre an der Zeit, auch von gesetzgeberischer Seite einmal kritisch zu hinterfragen, inwieweit bei der Abgabe von Impfstoffen, die nicht der Tierseuchenbekämpfung dienen, überhaupt öffentliche Interessen berührt werden und staatliche Restriktionen und Kontrollen notwendig sind!
Die jetzige Vorlage ist in ihrer praktischen Auslebung genausowenig praktikabel, wie es auch einige Teile des novellierten Tierarzneimittelgesetzes sind. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für spezialisierte Praxen, sondern genauso für Gemischtpraxen! Wenn die gesetzgeberische Seite sich so intensiv mit dieser "Nichttierseuchenbekämpfung" auseinandersetzt, sollte sie alles tun, um den Einsatz von solchen Impfstoffen zu fördern und nicht zu behindern.
Der jetzige Vorschlag muss sich leider den Hang zur deutlichen Überregulierung gefallen lassen, was im übrigen auch von einigen leitenden Veterinärbeamten bestätigt wird. Wie das mit der politisch postulierten Entrümpelung des Gesetzes- und Verwaltungswesens und Abbau von bürokratischen Hemmnissen zusammenpasst, bleibt hier verborgen.
Die Bedeutung des wirklich prophylaktischen Einsatzes von Impfstoffen in der Nutztierhaltung und gerade auch der Einsatz von Lebendimpfstoffen wird immer mehr zunehmen und ist eine äußerst effektive, elegante und kostengünstige Möglichkeit Tiergesundheit zu verbessern und den Einsatz von Antibiotika zurückzudrängen!
Von Seiten der Standesvertretungen wäre wünschenswert, dass weniger "Kirchturmdenken" vorherrschen würde. Auch monetäre Aspekte laufen ins Leere, da nur wirtschaftlich arbeitende Betriebe überleben können und auch nur diese überhaupt einen Tierarzt benötigen. Etwas weniger Zurückhaltung und dafür mehr Selbstbewußtsein der Politik gegenüber würde unserem Berufsstand, aber auch der Landwirtschaft insgesamt, gut zu Gesicht stehen.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Reinhold Heggemann
Bahnhofstr.69
25782 Tellingstedt
Tel.: 04838-703004
Fax: 04838-703005
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